In der Nähe des Unglücksortes haben sich Menschen zum Trauern versammelt und Kerzen niedergelegt

Interview mit Ombudsmann

Vermitteln und helfen nach der Katastrophe

Stand: 05.08.2010, 18:15 Uhr

Der Mann des Vertrauens für die Hinterbliebenen und Verletzten des Loveparade-Unglücks soll Wolfgang Riotte sein. Die Landesregierung hat den 71-Jährigen zum Ombudsmann bestimmt. Mit WDR.de sprach Riotte über seine Motivation und seine Möglichkeiten.

Wolfgang Riotte soll dort weiterhelfen, wo die Betroffenen des Loveparade-Unglücks nicht weiterkommen: Er vermittelt zwischen den Hinterbliebenen und Verletzten auf der einen sowie Versicherungen und Behörden auf der anderen Seite. Riotte war bis 2003 Staatssekretär im NRW-Innenministerium, anschließend - schon als Ruheständler - zwei Jahre lang Beauftragter des Ministerpräsidenten für die Reform des öffentlichen Dienstes. 2008 übernahm er für zwei Jahre die Geschäftsführung von Unicef. Schon jetzt können die Betroffenen über die Hotline der Landesregierung Kontakt zu Wolfgang Riotte aufnehmen.

WDR.de: Sie sind schon lange im Ruhestand. Was motiviert Sie trotzdem zu dieser Aufgabe als Ombudsmann für die Betroffenen der Loveparade-Katastrophe?

Wolfgang Riotte: Die Motivation kommt von der Möglichkeit her, den Betroffenen zu helfen. Ich möchte erreichen, dass sie die größtmögliche Hilfe erfahren. Nicht nur in finanzieller Hinsicht.

WDR.de: Wie noch?

Wolfgang Riotte

Wolfgang Riotte

Riotte: Es können auch Fragen kommen wie: Wie werde ich mit meiner seelischen Not fertig? Oder Menschen, die sagen: Ich habe zwar ein Anliegen, das sich an eine der Stellen - sei es Wirtschaft oder Verwaltung - wendet, aber ich habe ein Problem damit, dies selber zu tun. Ich würde vermitteln und versuchen, Konflikte aufzulösen, wo man nicht weiterkommt. Es könnte auch sein, dass jemand einfach seine Wut, seinen Zorn loswerden will, der dies aber nicht irgendeiner Verwaltung anvertrauen will, weil er nicht weiß, was sie damit macht. Das wäre auch eine Hilfe: zuzuhören, einzugehen auf die Betroffenheit.

WDR.de: Wie haben Sie selbst das Unglück erlebt?

Riotte: Über die Medien. Und das wohl mit größerer persönlicher Betroffenheit als viele andere Menschen - von den Betroffenen natürlich abgesehen -, weil ich genau wusste: Wenn ich noch im Dienst gewesen wäre als Staatssekretär im Innenministerium, wäre ich sehr stark involviert gewesen in alles, was damit zusammenhing. Damals war ich ja auch für die Polizei zuständig.

WDR.de: Ombudsmann ist in diesem Fall eine Aufgabe, die Sie mit viel Trauer und Leid konfrontieren wird. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?

Riotte: Ich habe über 15 Jahre im Innenministerium gearbeitet. Da hat es immer wieder Katastrophen gegeben - zumindest aus Sicht der Betroffenen waren es Katastrophen. Denken Sie an den Brandanschlag in Solingen, denken Sie an das Eisenbahnunglück in Eschede, denken Sie an Polizeibeamte, die getötet wurden. Es hat oft Gelegenheiten gegeben, wo ich erfahren habe, wie ich selber darauf reagiere und auch gelernt habe, damit umzugehen.

WDR.de: Glauben Sie, dass eine Versicherung freiwillig Geld herausrückt, wenn sie es nicht muss - nur weil Sie sagen: das wäre jetzt fair?

Riotte: Zum einen wird es Fälle geben, in denen ich darlegen kann, dass der Sachverhalt nicht umfassend geprüft worden ist. Es wird aber auch Fälle geben, wo es einen Ermessensspielraum bei der Versicherung gibt, den vielleicht nicht der Berater hat, aber seine Vorgesetzten. Das würde ich nutzen wollen. Und ich kann mir auch vorstellen, dass eine Versicherung selber Interesse daran hat, gerade in einem solchen Fall nicht als kleinkariert dazustehen.

WDR.de: Wenn Sie neben den Hinterbliebenen auch die Verletzten beraten, werden Sie vermutlich viel zu tun haben. Haben Sie dafür einen ganzen Stab an Mitarbeitern?

Riotte: Das hängt davon ab, in welchem Umfang ich gebraucht werde. Wir werden nicht eine ganze Verwaltung aufbauen und dann feststellen, dass vielleicht nicht mehr als zehn Personen sich melden. Das werden wir flexibel handhaben. Ich werde aber von Anfang an jemanden haben, der das Telefon bedient, wenn ich nicht da bin, der Gespräche annimmt und auch von sich aus versucht, schon mal an die richtigen Stellen weiterzuleiten.

WDR.de: Geht jeder Fall über Ihren Tisch?

Riotte: Ich werde sicherlich von allen Versuchen erfahren, mit mir Kontakt aufzunehmen. Ob die Anliegen dann als solche über meinen Tisch gehen, das wage ich zu bezweifeln. Wenn jemand sich an die Versicherung wenden möchte, aber nicht weiß, bei welcher von mehreren, bei denen er versichert ist, dann werden wir versuchen, das herauszufinden und weiter zu vermitteln. Diese Aufgabe werden dann aber auch meine Mitarbeiter wahrnehmen.

WDR.de: Ersparen sich die Betroffenen, die sich an Sie wenden, vor Gericht zu ziehen?

Riotte: Das kann ich schwer vorwegnehmen. Aber es wäre wenigstens ein Ziel, ihnen früher zu helfen, als es auf diesem Wege möglich wäre. Ich werde natürlich auch abwägen. Wenn der Sachverhalt meine Möglichkeiten übersteigt, werde ich auch raten, einen Anwalt zu nehmen.

Das Gespräch führte Silke Wortel.

Spendenkonto

Die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW hat auf Bitte der Landesregierung für ihre Mitgliedsverbände Arbeiterwohlfahrt, Caritasverband, Diakonie, Paritätischer Wohlfahrtsverband, Deutsches Rotes Kreuz und Jüdische Gemeinde ein gemeinsames Spendenkonto eingerichtet.

Caritasverband für das Bistum Essen, Konto-Nr. 14400, BLZ 360 602 95, Bank im Bistum Essen