Suche nach den Ursachen der Tragödie

Veranstalter erhebt Vorwürfe gegen Polizei

Stand: 26.07.2010, 21:14 Uhr

Der Loveparade-Veranstalter gibt der Duisburger Polizei die Schuld an dem verheerenden Gedränge. Sie habe Anweisung gegeben, die Besucherschleusen vor dem Tunnel zu öffnen.

Wie die Staatsanwaltschaft Duisburg bestätigte, erlag eine 21-jährige Frau aus Deutschland am Montagabend (26.07.10) in einem Krankenhaus den Verletzungen, die sie am Samstag im Tunnel des Veranstaltungsgeländes erlitten hatte. Damit hat sich die Zahl der Todesopfer auf 20 erhöht. Nach Polizeiangaben sind bei der Loveparade 511 Menschen verletzt worden. 283 von ihnen kamen ins Krankenhaus, die meisten von ihnen sollen die Kliniken nach kurzer Behandlung wieder verlassen haben. Allerdings soll es sich dabei nicht nur um Folgen der Massenpanik handeln, unter den Verletzten seien auch Besucher, die wegen Alkohol- oder Drogenmissbrauch ärztliche Hilfe brauchten. Am Montagnachmittag befanden sich laut Polizei 43 Besucher in stationärer Behandlung.

Hat die Polizei die Besucherschleusen geöffnet?

Großes Gedränge am unteren Ende der Rampe, die zum Festivalgelände der Loveparade führt.

Großes Gedränge vor dem Tunnel

Unterdessen gab der Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller indirekt der örtlichen Polizei die Schuld an den Geschehnissen: "Die Einsatzleitung der Polizei hat die Anweisung gegeben, alle Schleusen vor dem westlichen Tunneleingang an der Düsseldorfer Straße zu öffnen", sagte er am Montagabend. Zuvor hätten die Veranstalter zehn der 16 Schleusen geschlossen gehalten, weil bereits eine Überfüllung des Tunnels drohte. Dann aber sei der Hauptstrom der Besucher wegen der Polizeianweisung unkontrolliert in den Tunnel geströmt. Warum die Polizei diese Anweisung gegeben habe, wisse er nicht, so Schaller. "Für den Fall der Überfüllung sollten die Schleusen geschlossen werden." Der 41-jährige widersprach Vorwürfen, er habe aus Profitgier Sicherheitsbedenken ausgeschlagen: "Nach derzeitigem Stand haben wir sämtliche Auflagen erfüllt. Das gesamte Konzept war in jedem Punkt in wöchentlichen Sitzungen mit Polizei, Feuerwehr und Stadt abgestimmt." Auch der Tunnelbereich, hinter dem die Katastrophe passierte, sei von den Behörden "intensiv geprüft" und abgenickt worden.

Veranstalter: 187.000 Besucher auf dem Gelände

Warum sich ein Pfropfen aus Menschen gebildet habe, wisse er derzeit noch nicht. Die Auswertung des Videomaterials und die Rücksprache mit den 2.000 Mitarbeitern der Großveranstaltung laufe auf Hochtouren. An einer Überfüllung des Geländes habe es jedenfalls nicht gelegen, das lasse sich beweisen. Das Gelände sei zum Zeitpunkt der Massenpanik lediglich zu 75 Prozent ausgelastet gewesen. "Es waren etwa 187.000 auf dem Gelände", so Schaller.

Zeitung: Ordnungsbehördliche Erlaubnis erst spät erteilt

Laut einem Bericht der "Kölnischen Rundschau" soll die ordnungsbehördliche Erlaubnis für die Loveparade erst am Veranstaltungstag um 9 Uhr morgens erteilt worden sein. Noch am Tag zuvor soll dem Bericht zufolge in verschiedenen Sitzungen über das Sicherheitskonzept debattiert worden sein. Dabei sollen die Duisburger Berufsfeuerwehr und Polizisten nochmals deutlich gemacht haben, dass die Großveranstaltung so nicht stattfinden könne. Am Samstag (24.07.10) hätte dann eine Entscheidung gefällt werden müssen, sagte ein Beamter der Zeitung. Es sei den Verantwortlichen dann keine andere Wahl mehr geblieben, als ihr Einverständnis zu geben. Schließlich seien schon Tausende auf der Anreise gewesen, berichtete ein Mitarbeiter aus dem erweiterten Organisatorenbereich. Normalerweise sollen bei Großveranstaltungen dieser Art die ordnungsbehördlichen Genehmigungen Wochen und Monate im Voraus erteilt werden.

Neue Hotline für Angehörige von Opfern

Das Krisentelefon der Stadt Duisburg war am Wochenende heillos überlastet. Von den rund 570.000 Anrufen konnte nur ein Bruchteil beantwortet werden. Die Polizei hat am Sonntag eine weitere Hotline eingerichtet, unter der sich Menschen melden können, die Unterstützung bei der Verarbeitung der Schockerlebnisse suchen: 0201/829 80 91. Auch zwei Tage nach der Veranstaltung sind noch 1.138 Menschen als vermisst gemeldet. Trotz dieser außergewöhnlich hohen Zahl sei das kein Anlass für große Sorge, sagt die Polizei Duisburg. "Es ist absolut ausgeschlossen, dass Verletzte auf dem Gelände noch nicht entdeckt wurden", sagte Polizeisprecher Achim Blattermann WDR.de. Wahrscheinlich sei, dass viele der Anzeigensteller der Polizei nicht mitgeteilt hätten, dass ihre Angehörigen und Freunde inzwischen wieder aufgetaucht seien. Nach einer Party dieser Größenordnung sei es durchaus üblich, dass sich Feiernde noch ein paar Tage Zeit ließen, bis sie wieder nach Hause kämen. "Es liegt uns kein Fall vor, bei dem es Anhaltspunkte für Besorgnis gäbe." Die Polizei bittet alle, die ihre Angehörigen wiedergefunden haben, sich zu melden. Die Nummern lauten: 0203/280-4125, -4128 oder -4526.

Kölner Polizei übernimmt Ermittlungen

Die Staatsanwaltschaft setzte am Montag (26.07.10) ihre Untersuchungen fort, die sich bislang allerdings nicht gegen konkrete Personen richten würden, wie ein Sprecher betonte. Am Montagabend wurde bekannt, dass das nordrhein-westfälische Innenministerium die Zuständigkeit für die Ermittlungen von der Duisburger auf die Kölner Polizei übertragen habe. Dies sei geschehen, um Vorwürfe der Befangenheit zu vermeiden. In Köln soll bereits eine Ermittlungskommission eingerichtet worden sein. Zeugenaussagen und beschlagnahmte Unterlagen sollen klären, ob das Sicherheitskonzept für die Loveparade ausreichend war. Bereits vor dem Beginn der Veranstaltung hatte es konkrete Warnungen vor einer Katastrophe gegeben.

Duisburger OB bleibt im Amt

Der Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) nahm in einer Erklärung am Montagnachmittag von einem sofortigen Rücktritt Abstand. Er äußerte zwar Verständnis für Rücktrittsforderungen und kündigte an, auch die eigene Rolle zu beleuchten: "Wenn sich die Stadt etwas vorzuwerfen hat, dann werden wir Verantwortung übernehmen." Doch zunächst müsse es darum gehen, "die schrecklichen Ereignisse aufzuarbeiten und die vielen Puzzleteile zu einem Gesamtbild zusammenzufügen". Sauerland war am Sonntag bei einer Begehung des Partygeländes auf dem ehemaligen Güterbahnhof von Trauernden angegriffen worden.

Loveparade mit 7,5 Millionen Euro versichert?

Nach Angaben der "Financial Times Deutschland" soll der Veranstalter Lopavent bei der Axa-Versicherung eine Haftpflichtversicherung für die Loveparade in Höhe von 7,5 Millionen Euro abgeschlossen haben. Sollten Ansprüche darüber hinaus entstehen, soll laut der Zeitung der Loveparade-Veranstalter privat haften müssen. Gründer und Lopavent-Geschäftsführer ist Rainer Schaller, der auch die die Fitnesskette McFit betreibt.

Die Universität Bochum hat unterdessen angekündigt, Hinterbliebene und Verletzte bei Strafanzeigen gegen die Verantwortlichen zu unterstützen. Der Jurist Thomas Feltes vom Lehrstuhl für Kriminologie und Polizeiwissenschaft wolle Betroffene beraten und im weiteren Verfahren kostenlos unterstützen. Auch die Gründung einer Selbsthilfegruppe sei eine der Möglichkeiten zu helfen: "Auch diejenigen, die nicht selbst körperlich geschädigt wurden, aber unmittelbar Zeuge der dramatischen Ereignisse waren, können unter Schock stehen und psychische Spätfolgen erleiden." Nach Einschätzung des Tübinger Strafrechtlers Jörg Kinzig drohen den Verantwortlichen der tödlichen Massenpanik allenfalls Bewährungsstrafen wegen fahrlässiger Tötung. Voraussetzung dafür sei unter anderem, dass eine Verletzung der Sorgfaltspflicht nachgewiesen werden könne.

Panikforscher sieht Schuld bei Teilnehmern

Der Panik- und Stauforscher der Universität Duisburg-Essen, Michael Schreckenberg, der am Sicherheitskonzept für die Loveparade beteiligt war, sieht den Auslöser für die Katastrophe im Verhalten von Teilnehmern: "Das Unglück ist nicht passiert, weil es zuvor im Tunnel zu eng und die Masse panisch war, sondern weil einige hinter dem Tunnel versucht haben, schneller aufs Gelände zu gelangen", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Die Katastrophe sei nicht durch Panik entstanden, sondern als "Folge einer physikalischen Zwangsläufigkeit. Eine hochverdichtete Masse gerät in Bewegung".