Landtag debattiert über Finanznot der Kommunen
"Den Kommunen Schulden erlauben"
Stand: 29.10.2010, 14:56 Uhr
Landräte, Bürgermeister und Kämmerer aus NRW reisen am Freitag (29.10.10) nach Düsseldorf. Sie wollen dabei sein, wenn sich der Landtag in einer Sondersitzung mit der miserablen finanziellen Lage ihrer Kommunen beschäftigt. Auf große Hilfe sollten die Kämmerer nicht hoffen, meint Haushaltsexperte Lars Holtkamp im Interview.
Von Anke Fricke
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KommentierenUngewöhnlich einig sind sich die rot-grüne Minderheitsregierung und die Opposition im Vorfeld der Landtagssitzung. Auf die Hilfe von allen Parteien hofft auch das Aktionsbündnis "Raus aus den Schulden". Deshalb hatte dieser Zusammenschluss von 27 Städten und Kreisen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) um diese Sondersitzung gebeten. Denn im Rahmen der regulären sehr hitzigen Haushaltsdebatten erzielen die Parteien selten eine gemeinsame Lösung.
Dass die Landräte, Bürgermeister und Kämmerer aber mit einem nachhaltigen Finanzkonzept nach Hause fahren können, bezweifelt Lars Holtkamp. Der Professor für Politik und Verwaltung an der Fernuniversität Hagen hat als Arbeitsschwerpunkt Haushaltspolitik und Verwaltungsmodernisierung.
WDR.de: Was bedeutet die Sondersitzung des Landtags für die Kommunen?
Professor Lars Holtkamp
Professor Lars Holtkamp: Die Sondersitzung alleine kann den Kommunen nicht helfen. Aber wenn man sich die Positionierung der Landesregierung anschaut und das, was die Regierungen - egal welcher Partei - früher gesagt haben, dann erleben wir gerade eine Wende. Früher haben alle Parteien im Landtag die Haltung gehabt, dass jede Kommune an ihrer finanziellen Lage selbst schuld ist. Jede Stadt könnte ihren Haushalt selbst ausgleichen, sie müsste sich nur genug anstrengen. Die Landesregierung sagt aber jetzt, einzelne Kommunen können ihre Haushalte nicht mehr aus eigener Kraft ausgleichen. Das ist neu, hätte man aber auch schon vor 15 oder 20 Jahren sagen können.
WDR.de: Wie kann der Landtag den verschuldeten Kommunen helfen?
Holtkamp: Bei den Städten in NRW, die in den vergangenen Jahren eine sehr große Verschuldung angehäuft haben, kann zunächst ein Entschuldungsfonds helfen. Das Land übernimmt dann für eine gewisse Zeit - etwa zehn Jahre - die Zinszahlungen für Kassenkredite. Die hohe Zinslast führt bei vielen Kommunen dazu, dass sie es nie mehr aus eigener Kraft schaffen werden, den Haushalt auszugleichen. Aber nicht nur die hoch verschuldeten Kommunen im Ruhrgebiet haben ein Problem. Seit zwei, drei Jahren sind bei fast allen Städten und Kreisen in NRW die laufenden Ausgaben nicht durch laufende Einnahmen gedeckt, so dass hier eine ähnliche Abwärtsspirale droht.
WDR.de: Die Landesregierung hat den Kommunen bereits 300 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Über weitere Hilfen verhandelt der Landtag. Reicht das Geld denn?
Holtkamp: Das Geld reicht natürlich nicht. Aber mit dem Geld werden die Zinsen für die enormen Kassenkredite für ein paar Jahre bezahlt. Doch unter dem Strich sind die Zinszahlungen auch nur Flickschusterei. Auch wenn die Zinsen übernommen werden, dürften die meisten Kommunen in den kommenden Jahren weitere Kassenkredite aufnehmen müssen. Wenn man als Land irgendwann sagt, wir haben jetzt zehn Jahre eure Zinsen gezahlt, jetzt müsst ihr es wieder selbst machen, dann ist das Loch, in das man die Kommunen stürzt, noch größer. Man muss eigentlich schauen, wie man allgemein als Land die Kommunen entlasten kann.
WDR.de: Wie könnte eine solche Entlastung aussehen?
Holtkamp: Es muss sichergestellt sein, dass die von Bund und Land übertragenen Aufgaben auch finanziert werden. Und es müssen stärker die sozial-strukturellen Unterschiede beachtet werden. In Nordrhein-Westfalen sind nachweislich über Jahre in Kommunen mit hoher Arbeitslosigkeit die Sozialbelastungen nicht im vollen Umfang ausgeglichen worden. Mit der Konsequenz, dass diese Kommunen über Jahre nur rote Zahlen schreiben und auch unter strenger Haushaltsaufsicht stehen. Dabei ist die Haushaltsaufsicht der Punkt, der die Kommunen am meisten belastet. Aber darüber reden die Landtagsabgeordneten nicht gerne.
WDR.de: Was müsste sich denn an der Aufsicht ändern?
Holtkamp: Wenn das Land schon nicht in der Lage ist, die Kommunen ausreichend mit finanziellen Mitteln auszustatten - was angesichts der enorm aufgelaufenen kommunalen Gesamtschulden von 20 Milliarden Euro wahrscheinlich ist - dann sollte das Land liberaler mit den Kommunen umgehen. Diese Kommunen also nicht jedes Jahr unter Nothaushaltsrechts stellen. Mit der doch sehr bitteren Konsequenz, dass diese kaum noch Investitionen vornehmen können.
WDR.de: Mehr Freiheiten und dann möglicherweise noch mehr Schulden?
Holtkamp: Genau. Das Land sollte den Kommunen mehr Freiheiten gewähren und Anreize setzen. Wenn beispielsweise eine Kommune im Vergleich zu einer anderen Kommune mehr gespart hat und sich in den vergangenen Jahren sehr bemüht hat, dann sollte man diese Kommune von der sehr zeitintensiven Kommunalaufsicht verschonen. Bislang ist es egal, ob eine Kommune aus eigener Schuld oder aufgrund von sozial-strukturellen Problemen einen unausgeglichenen Haushalt hat. Beide Kommunen unterliegen strengen Restriktionen. Das hat zur Konsequenz, dass die Anreize, aus der Misere heraus zu kommen, gegen Null tendieren.
WDR.de: Wie sind denn die Kommunen zu retten?
Holtkamp: Es gibt nur zwei Optionen. Entweder das Land mobilisiert zusammen mit dem Bund Milliardensummen für die Kommunen, um diese zu entschulden und beteiligt sich stärker an den Kosten für Transferleistungen. Das wäre dann eine Aufbauhilfe West. Da sich Bund und Länder jedoch verpflichtet haben, ihre Neuverschuldung in Zukunft zu drosseln, ist nicht zu erwarten, dass viel Geld an die Kommunen fließt. Die Kommunen sind leider das schwächste Glied in der Kette. Denn anders als die Länder haben sie kein Vetorecht im Bundesrat bei der Gesetzgebung. Das heißt, Bund und Länder einigen sich in ihren Verhandlungen auf Kosten der Kommunen.
Die zweite Möglichkeit ist, dass man endlich akzeptiert, dass die Kommunen Schulden machen - genauso wie es Land und Bund machen. Und zwar in einem deutlich geringerem Maße wie Bund und Länder. Die 12.000 Kommunen in Deutschland haben ungefähr ein Fünftel der Verschuldung der Bundesländer und ein Zehntel des Bundes. Es wird immer nur von der kommunalen Haushaltskrise gesprochen. Das liegt aber vor allem daran, dass es eine kommunale Haushaltsaufsicht gibt. Bund und Länder haben keine Haushaltsaufsicht.
WDR.de: Inwieweit kann der derzeitige Aufschwung den Kommunen helfen?
Holtkamp: Da haben sicherlich viele Kommunen noch Hoffnung. Doch NRW ist das Land mit den am höchsten verschuldeten Kommunen. Da bringt der Aufschwung erst einmal gar nichts, weil mit dem Aufschwung gewöhnlich auch höhere Zinsen einhergehen. Die Zinsen sind derzeit als Haushaltsfaktor aber entscheidender als möglicherweise höhere Gewerbesteuereinnahmen. In Baden-Württemberg, wo die Kommunen nicht so verschuldet sind, wirkt sich der Aufschwung natürlich positiver aus.
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