Wacht das Ruhrgebiet wieder auf?
Interview mit dem RWI-Chef
Stand: 17.03.2006, 17:14 Uhr
Thyssen-Krupp verlegt seine Zentrale von Düsseldorf nach Essen, Siemens investiert Millionen in ein neues Turbinen-Testzentrum in Duisburg. Geht es im Ruhrgebiet endlich wieder aufwärts? WDR.de sprach mit Professor Christoph M. Schmidt, Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen.
WDR.de: Hat das Ruhrgebiet seine schlimmste Zeit hinter sich?
Christoph M. Schmidt: Es könnte der Beginn eines lange ersehnten Neuaufbruchs im Ruhrgebiet sein. Mit der Ansiedlung von Thyssen-Krupp wird nicht nur ein Signal gegen den Trend der Abwanderung junger Leistungsträger gesetzt, sondern die Region hat jetzt mindestens einen starken Spieler mehr, der als Symbol für das Ruhrgebiet auftreten kann. Man hat zwar aus Sicht der Politik bereits viel für die Region getan, doch bisher war der Erfolg eher bescheiden. Aber nicht nur die Region profitiert von diesen Ansiedlungen, sondern ganz NRW. Denn das Ruhrgebiet zieht im Augenblick die Leistung des gesamten Landes nach unten. Wenn es jetzt im regionalen Wettbewerb nach vorne gebracht wird, profitieren alle im Land.
WDR.de: Was bedeutet denn diese Neuansiedlung von Thyssen-Krupp ganz konkret für eine Stadt wie Essen?
Schmidt: Durch den Umzug werden zum einen neue Stellen geschaffen. Aber so eine Konzernverwaltung zieht noch mehr nach sich: Im Umfeld siedeln sich andere Unternehmen an, zum Beispiel Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwälte. Und man kann auch hoffen, dass künftig in der Region mehr in Forschung und Entwicklung investiert wird. Hier steht das Ruhrgebiet bisher ganz schlecht da und hat erheblichen Nachholbedarf.
In Zukunft werden wir gerade am Standort Essen den Gegensatz von zwei Modellen des Strukturwandels sehen können. Nämlich einerseits mit Thyssen-Krupp die Stahlindustrie, die sich unter schmerzhaften Verschlankungsprozessen dem internationalen Wettbewerb gestellt und Erfolg hat. Und dabei kein Gramm deutscher Kohle braucht, um erfolgreich zu sein. Andererseits die Deutsche Kohle, die ihre ganze Energie darauf verwendet, Subventionen zu erhalten, statt Werte zu schaffen. Die Menschen im Ruhrgebiet können jetzt sehen, dass es nicht mit Erhaltungssubventionen gehen muss, sondern dass man sich dem Wettbewerb stellen und dann auch neue Werte schaffen kann. Ich glaube, sich an diesem neuen Beispiel Thyssen-Krupp aufzurichten, wird der Region gut tun.
WDR.de: Welche Städte im Ruhrgebiet haben denn besonderes Potenzial?
Schmidt: Wir müssen uns davon trennen, die Städte einzeln zu betrachten. Die Region würde sich besser stellen, hätte sie es schon früher geschafft, stärker an einem Strang zu ziehen. Es zeigt sich, dass die Städte, die schneller bereit waren, harte Einschnitte vorzunehmen, vielleicht diejenigen sind, die am Ende am besten dastehen. Dortmund etwa hat einen harten Wandel hinter sich und steht jetzt nicht mehr für seine industrielle Vergangenheit, sondern unter anderem für seine Mikroelektronik. Die Stadt ist ein Beispiel dafür, wie man die Zukunft in der Region gestalten könnte.
WDR.de: Ein Anfang ist gemacht, was muss im Ruhrgebiet jetzt getan werden, um den Trend fortzusetzen und den Strukturwandel zu schaffen?
Schmidt: Endgültig schaffen wird man den Strukturwandel nie. Strukturwandel ist eine immer währende Aufgabe. Man hat den Menschen in der Region viel zu lange versprochen, "ihr müsst über eine Phase des Strukturwandels hinweg und dann ist alles wieder in Ordnung, dann gibt's keinen Anpassungsdruck mehr". Die Welt sieht so nicht aus. Man muss weg von Erhaltungssubventionen und hin zu neuen Dingen: zu Forschung, Entwicklung, zu Investitionen in Bildung und in die Zukunft junger Menschen. Das wäre für die Region wichtig, aber auch für das ganze Land.
Das Interview führte Claudia Thöring.