Wie viele U3-Plätze fehlen wirklich in NRW?
WDR-Umfrage zu Betreuungsplätzen
Stand: 02.07.2013, 18:11 Uhr
Eine Bestandtaufnahme vor dem 1. August 2013. Gibt es genügend Plätze, oder droht eine Klagewelle? Der WDR hat vor Ort, in den mehr als 180 Jugendämtern des Landes, nachgefragt. Ein Ergebnis: Die Unsicherheit war noch groß. Aber es gibt auch gute Nachrichten.
Von Rainer Kellers
U3-Betreuung in den Regionen in NRW - Angebot und Bedarf:
Die Politik gibt sich zuversichtlich: Zum Stichtag, dem 1. August 2013, wird in NRW die anvisierte Betreuungsquote von 33 Prozent erreicht. Doch stimmt das wirklich? Und vor allem: Ist die politisch vorgegebene Quote tatsächlich realistisch? Wie sieht es in den Großstädten aus, wo viele Eltern auf eine Kleinkinderbetreuung angewiesen sind? Wie sind die Unterschiede zwischen Land und Stadt, Rheinland und Westfalen, Düsseldorf und Köln?
Der WDR wollte es genau wissen. Und darum haben unsere elf Regionalstudios Ende Juni Anfragen an alle mehr als 180 Jugendämter im Land gestellt. Die Ämter sollten uns mitteilen, wie viele Betreuungsplätze in Kitas und bei Tageseltern im August wirklich fertig sind. Verglichen mit der Gesamtzahl der Kleinkinder ergibt sich daraus die Betreuungsquote. Erstes Ergebnis: Bezogen auf das ganze Land kann man sagen, die vom Familienministerium genannte Quote von 33 Prozent wird erreicht (siehe Grafiken und Tabellen). Nach unserer Erhebung liegt sie sogar bei circa 35 Prozent. Wichtig dabei: Die Zahl bezieht sich auf alle Kinder unter drei Jahren - denn diese werden in der offiziellen Statistik gezählt. Einen Rechtsanspruch haben aber nur die Ein- und Zweijährigen - nicht aber Kinder unter einem Jahr. Das heißt, die Betreuungsquote nur für die Anspruchsberechtigten liegt deutlich höher.
66 Prozent in Bad Honnef
Große Unterschiede bei der Zahl der U3-Plätze im Land
Die Werte sind aber, wie gesagt, Durchschnittswerte. Ausreißer nach oben und unten gibt es viele. Der Jugendamtsbezirk mit der höchsten Betreuungsquote ist der von Bad Honnef. Für 66 Prozent der 350 Kinder steht dort ein Platz zur Verfügung. Im Kreis Warendorf sind es 61 Prozent - Platz zwei. Auf Rang drei folgt der Kreis Kleve mit 59 Prozent. Am unteren Ende der Skala findet sich Ahlen, wo es Plätze für nur 18 Prozent der Kleinkinder gibt, und Plettenberg im Sauerland mit 20 Prozent. Update: Die Stadt Niederkassel hat am Donnerstag (04.07.2013) ihre Zahlen korrigiert. Danach liegt die Quote dort bei 64 Prozent (vorher 43%) - das wäre dann der neue Platz 2.
Nun bedeutet das aber nicht, dass in Bad Honnef die Welt in Ordnung ist und sie in Ahlen demnächst untergeht. Denn trotz der Traumquote fehlen in Bad Honnef etwa 25 Kitaplätze. In Ahlen wiederum haben nur wenige Eltern einen Betreuungswunsch gemeldet, so dass die 18 Prozent offenbar ausreichen. Das zeigt: Die Quote allein ist nicht aussagekräftig. Sie muss in Bezug gesetzt werden zum tatsächlichen Bedarf. Genau hier fangen die Probleme an.
Es fehlen verlässliche Angaben zu Anmeldezahlen
Viele Jugendämter konnten uns einen Monat vor Beginn des Rechtsanspruchs keine Angabe zum Bedarf machen. Die Begründungen dafür sind vielfältig. Meist heißt es, die Eltern meldeten sich direkt bei den Kitas an, einen Überblick gebe es deshalb nicht. Andere Jugendämter weisen auf die vielen Doppelanmeldungen hin, die Eltern tätigen, um sicherzugehen, einen Platz zu bekommen. Wieder andere Ämter geben stolz an, der Bedarf sei gedeckt, können aber keine Zahlen nennen. Oft liegen nur Schätzungen vor. Verlässlich sind die Angaben nicht. Wir haben sie dennoch in unsere Karte eingearbeitet, weil sie eine Annäherung an die Wirklichkeit erlauben. Wie viele Plätze zum Stichtag genau fehlen - Ergebnis Nummer zwei - kann niemand sagen. Das ist durchaus ein Dilemma, und es unterstützt die Forderung des Landes nach einem Anmeldesystem und festen Anmeldefristen.
Das Problem der großen Städte
Schwierigkeiten wird es vor allem in den großen Städten geben - das ist das dritte Ergebnis. In ländlichen Bereichen reicht eine niedrige Quote oft aus. In den Großstädten dagegen leben viele Kinder, und gleichzeitig ist der Betreuungsbedarf hoch. Wie hoch genau, bleibt leider unklar. Denn gerade die großen Städte sehen sich nicht in der Lage, Zahlen dazu zu liefern. Das gilt beispielsweise für Köln, Düsseldorf, Essen und Dortmund. Nach den vorliegenden Werten lässt sich immerhin vermuten, dass die Zahl der Plätze in vielen großen Städten nicht reichen wird. Köln zum Beispiel gibt an, knapp 10.000 Betreuungsplätze anbieten zu können. Bei einer U3-Bevölkerung von fast 30.000 wird gerade ein Drittel abgedeckt (33 Prozent). Die Stadt will kurzfristig die Quote auf 40 Prozent erhöhen - dafür müssen rund 2.200 Plätze zusätzlich geschaffen werden. Derzeit kann man wohl von einer Unterversorgung sprechen.
In Düsseldorf ist es ähnlich, die Quote liegt derzeit bei 36 Prozent: Das wird wohl nicht reichen, denn erfahrungsgemäß ist der Bedarf in Großstädten größer. Gleiches gilt für Dortmund (33 Prozent) und Essen (35 Prozent). Die Stadt Münster kann Bedarfszahlen nennen, hier liegt die Quote bei guten 43 Prozent, aber auch das deckt den Bedarf nicht ganz. In Bonn fehlen nach unseren Berechnungen sogar rund 2.650 Plätze.
Abwerben von Erzieherinnen?
In NRW buhlen die Kommunen nach Ansicht der Gewerkschaft Verdi um qualifiziertes Personal für die Betreuung von Kindern unter drei Jahren. Das sei zum Beispiel an den befristeten Verträgen erkennbar, erklärte Verdi-Gewerkschaftssekretär Jürgen Reichert: "Manche Erzieherinnen waren bis zu sieben Jahre auf befristeten Verträgen angestellt." Das sei nun abgeschmolzen - "oft auf nur noch ein Jahr Probe". Studien zufolge fehlten in den kommenden Jahren insgesamt 7.000 bis 9.000 Erzieher in NRW.
Auch der Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen bestätigte, dass qualifizierte Fachkräfte knapp seien. Von einem Abwerben könne aber nicht die Rede sein, eher von einem üblichen Werben um Arbeitnehmer.
Fazit: Die politisch vorgegebene Zahl einer Betreuungsquote von 33 Prozent wird zum 1. August erreicht. Über den tatsächlichen Betreuungsbedarf gibt es einen Monat vor Inkrafttreten des Rechtsanspruches aber noch große Unsicherheit, insbesondere in den Großstädten. Hier sind absehbar nicht genügend Plätze vorhanden, so dass es zu Klagen kommen kann. Wenn man aber bedenkt, dass nicht alle Eltern von U3-Kindern klagen können, sondern nur die, deren Kinder das erste Lebensjahr vollendet haben, wenn man dann noch in Betracht zieht, dass die Städte unter Hochdruck weiter ausbauen, lässt sich sagen: Eine Klagewelle ist wohl nicht zu erwarten.