Berthold Beitz

Zum Tod von Berthold Beitz

Der Mann hinter Krupp

Stand: 31.07.2013, 16:25 Uhr

Er traf viele Entscheidungen aus dem Bauch, meist lag er damit richtig. Berthold Beitz hat mit Alfried Krupp nach dem Krieg den Essener Krupp-Konzern wieder aufgebaut. Am Dienstag starb Beitz - wenige Wochen vor seinem 100. Geburtstag.

Von Christoph Stehr

Eine Zufallsbekanntschaft ist der Auftakt zu einem großen Kapitel Industriegeschichte in Nordrhein-Westfalen. Im Sommer 1952 laufen sich Berthold Beitz und Alfried Krupp von Bohlen und Halbach im Essener Atelier des Bildhauers Jean Sprenger über den Weg. Wenig später, im September, treffen sie in Hamburg erneut zusammen. Diesmal sprechen sie über Geschäftliches. Krupp, der 1943 den Essener Krupp-Konzern und damit einen Teil der Schuld an den Nazi-Gräueln geerbt hat, ist von der Haft im Kriegsverbrechergefängnis Landsberg gezeichnet und sucht eine starke Hand für den Wiederaufbau des Stahlkonzerns. Beitz schlägt ein und wird Generalbevollmächtigter – angeblich mit einem Jahresgehalt von einer Million Mark, damals eine ungeheure Summe.

Allerdings muss Beitz noch etwas warten, bis er die Stelle antreten kann. Noch ist das Kruppsche Vermögen von den Alliierten beschlagnahmt, die Familie hat in ihrem eigenen Unternehmen nichts zu sagen. 1953 ermöglicht der "Mehlemer Vertrag" einen Neubeginn: Unter der Bedingung, dass der Konzern entflechtet wird, erhält die Familie ihr Vermögen zurück und Alfried Krupp darf wieder die Geschäfte führen. Er gibt sie teilweise an seinen Vertrauten Beitz weiter. Das Unternehmen blüht auf. Hat es 1951 noch 13.000 Mitarbeiter gehabt, sind es zehn Jahre später 113.000.

Rüstung, nein danke

Beitz beweist sicheres Gespür für Marktchancen. So verlagert er den Schwerpunkt des Konzerns vom Stahl auf den Maschinen- und Anlagenbau. Das Rüstungsgeschäft, das die Krupps groß gemacht, aber beinahe zu ihrem Untergang geführt hat, lässt er links liegen. Er kauft Firmen auf, ist sich für keine Marktnische zu schade und trägt so zum deutschen Wirtschaftswunder bei. Beitz liebt schnelle Entscheidungen. Oft kommen sie aus dem Bauch. "Wenn ich in einen Raum komme, weiß ich zu 80 Prozent, wie die Verhandlungen laufen", sagt er einmal. Große Analysen und Diskussionen sind seine Sache nicht.

Essen, ca. 1948. Das Gelände der ehemaligen Kruppwerke, der Waffenproduktionsstätte im Nationalsozialismus, nach der Demontage der Maschinen und der Sprengung der Werkshallen

Schwieriger Neubeginn nach Krieg und Demontage

Das rächt sich. Der Krupp-Konzern hat seit 1943 die Rechtsform eines Einzelhandelsgeschäfts. Er muss keinen Geschäftsbericht vorlegen, keine Hauptversammlung veranstalten, keine Analystenkonferenzen einberufen. Ein internationaler Konzern mit dem Controlling einer Imbissbude – da ist es nicht verwunderlich, dass Beitz den Überblick verliert. Krupp ist bis über alle Schlote verschuldet. In den 60er-Jahren, als ein wirtschaftlicher Abschwung hinzukommt, droht die Pleite. 1967 gibt die Bundesrepublik eine Millionenbürgschaft, um 100.000 Arbeitsplätze bei Krupp zu retten. Im Gegenzug muss Beitz seine Macht an einen Verwaltungsrat abgeben, der die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft einleitet.

Der Vollstrecker

1967 ist auch das Jahr, in dem Alfried Krupp starb. Beitz wird offiziell Herr im Haus. "Ich habe die Aufgabe, den letzten Willen von Alfried Krupp zu erfüllen, und das wird auch mein weiteres Leben bestimmen", sagt er. Als Testamentsvollstrecker und Sachwalter des Familienvermögens steht er an der Spitze der gemeinnützigen Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, die 1968 ihre Arbeit aufnimmt. Bis zu seinem Tod ist Beitz Vorsitzender und geschäftsführendes Mitglied des Kuratoriums sowie Vorstandsvorsitzender der Stiftung. Dem Krupp-Konzern bleibt er ebenfalls erhalten – ab 1970 als Vorsitzender und ab 1990 als Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats. Von 1999 an ist er Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats der Nachfolgegesellschaft Thyssen-Krupp. In diesem Jahr geriet ThyssenKrupp in Schieflage: Der Essener Konzern kämpft mit Milliardenverlusten durch missratene Investitionen in Amerika und ist Vorwürfen wegen Kartellabsprachen und Korruption ausgesetzt. Die Schulden belaufen sich auf mehr als fünf Milliarden Euro. Eine Entwicklung, die auch Berthold Beitz wieder ins Rampenlicht rückte. Er distanzierte sich von Gerhard Cromme, der eigentlich als sein Kronprinz und designierter Nachfolger gehandelt worden war. Das Verhalten von Beitz wurde als Beginn einer neuen Ära bei Thyssen-Krupp gewertet.

Ehrungen weltweit

Haupteingang des neuen Folkwang-Museums

Museum Folkwang, Essen

Die Krupp-Stiftung ermöglicht es Beitz, berufliche und private Leidenschaften zu verbinden. Denn der Stiftungszweck, die Förderung von Wissenschaft, Bildung, Sport und Kunst, spiegelt sich im ganzen Leben von Beitz wider. Der begeisterte Segler und Ruderer ist seit 1972 Mitglied im Nationalen Olympischen Komitee Deutschland und im Internationalen Olympischen Komitee. Er unterstützt Universitäten, vor allem die in Bochum und Greifswald, und gründet die Kulturstiftung Ruhr. Der Neubau des Folkwang Museum in Essen wäre ohne den Mäzen Beitz und die Krupp-Stiftung nicht möglich gewesen. Für sein Engagement erhält er neben dem Bundesverdienstkreuz etliche Auszeichnungen. Er wird Ehrenbürger mehrerer Städte, Ehrendoktor und Ehrensenator mehrerer Hochschulen, nach ihm sind eine Straße in Essen, ein Platz in Greifswald und ein Lehrstuhl an der Harvard-Universität benannt.

Juden vor dem KZ gerettet

Der Erfolg des Berthold Beitz geht vor allem auf seine persönliche Integrität zurück. Am 26. September 1913 im Ort Zemmin in Vorpommern geboren, gehört er einer Generation an, in der viele die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft nicht ohne Makel überstehen. Beitz ist anders. Nach Abitur und Banklehre arbeitet er ab 1939 in der Mineralölindustrie. 1941 wird er in Boryslaw im besetzten Teil der Sowjetunion kaufmännischer Leiter einer Firma, die galizisches Öl für deutsche Panzer fördern soll. Beitz rettet zahlreiche Juden vor dem KZ, indem er sie als unabkömmlich für die kriegswichtige Ölproduktion einstuft. 1973 verleiht ihm die israelische Gedenkstätte Yad-Vashem den Ehrentitel "Gerechter unter den Völkern".

Über 50 Jahre hielt Beitz der Familie Krupp die Treue – auch das zeugt von Integrität. Noch länger, seit 1939, war er nur mit seiner Frau Else verheiratet. Aus der Ehe sind drei Töchter hervorgegangen.