Brennelemente aus Jülich hoch radioaktiv
Wie gefährlich sind die Kugeln?
Stand: 04.04.2011, 15:43 Uhr
Die Behörden suchen nach rund 2.300 Brennelementekugeln aus dem Forschungszentrum Jülich. Was sind das für Kugeln? Und wie gefährlich sind sie für Menschen? Antworten gibt WDR-Atomexperte Jürgen Döschner.
Der Verbleib der Kugelbrennelemente aus dem Forschungszentrum Jülich bleibt auch am Montag (04.04.2011) unklar. Jürgen Döschner, Atomenergie-Experte aus der WDR-Wirtschaftsredaktion, befürchtet, dass nicht nur in Jülich, sondern auch in Hamm-Uentrop Atommüll vermisst werden könnte.
WDR.de: Zurzeit ist der Verbleib von rund 2.300 Brennelementekugeln nicht geklärt. Worum handelt es sich bei diesen Kugeln überhaupt?
Wirtschaftsexperte Jürgen Döschner
Jürgen Döschner: Diese Brennelementekugeln sind so etwas Ähnliches wie Brennstäbe in einem Atomkraftwerk. Nur das hier der Brennstoff nicht in Stäben mit einer Metallumhüllung vorhanden ist, sondern in tennisballgroßen Kugeln, die von Grafit umgeben sind. Dadrin befindet sich der Brennstoff - im Wesentlichen Uran und Thorium. Man spricht deshalb bei dieser Art von Reaktor vom Kugelhaufenreaktor. Diese Kugeln werden in den Reaktor eingeführt und entwickeln dort die Hitze, mit der das Wasser erhitzt wird. Der dann entstehende Dampf treibt die Turbinen an. Es sind Brennstäbe in Kugelform, wenn man so will.
WDR.de: Wie gefährlich sind diese Kugeln für Menschen?
Döschner: Insbesondere dann, wenn diese Kugeln schon im Reaktor waren, gelten sie als hoch radioaktiver Abfall. Das ist auch analog zu den Brennstäben - nur dass in diesen Kugeln auch sehr giftiges Plutonium entstehen kann. Deshalb müssen sie genauso wie abgebrannte Brennstäbe entsorgt werden. Eine Wiederaufbereitung dieser Kugeln ist im Gegensatz zu den Brennstäben schwierig und davon hat man inzwischen auch Abstand genommen. Überhaupt gibt es momentan weltweit keinen funktionierenden Kugelhaufenreaktor.
WDR.de: Was wollte man denn mit den Forschungen in Jülich bezwecken?
Döschner: Dieser Versuchsreaktor in Jülich sollte 1962 der Start für eine neue Generation von Atomreaktoren sein, weil dieser Kugelhaufenreaktor zum einen eine höhere Betriebstemperatur erlaubt und zum anderen durch diese spezielle Art des Brennstoffs eine Kernschmelze - wie wir sie jetzt in Fukushima befürchten - technisch nicht möglich ist. Allerdings gab es bei diesem Versuchsreaktor und bei dem dann entwickelten Modell in Hamm-Uentrop andere Probleme, deshalb hat man dann davon abgesehen, diese Reaktorlinie weiter zu verfolgen.
WDR.de: Die Landesregierung geht davon aus, dass die Brennelemente im Salzbergwerk Asse lagern. Dort darf eigentlich nur schwach- bis mittel-radioaktiver Atommüll gelagert werden. Wenn dort wirklich so geschlampt wurde, welche Auswirkungen hat das?
Döschner: Erste Gerüchte, dass hoch radioaktive, abgebrannte Brennelementekugeln aus Jülich nach Asse geliefert worden sein sollen, gab es bereits im August 2008. Das wird nicht ganz ausgeschlossen, weil es durchaus Phasen gab, wo in der Asse in einer Menge und in einer Schnelligkeit Dinge eingelagert worden sind, dass nicht mehr ganz nachvollziehbar war, was in diesen Fässern drin ist. Vonseiten des Forschungszentrums in Jülich wird behauptet, dass es lediglich so genannte "Absorberkugeln" gewesen seien, die ins Zwischenlager nach Asse gebracht worden sind. Diese Kugeln enthielten selbst keine Brennelemente. Aber nachweisen kann das niemand. Und wenn es denn tatsächlich so gewesen sein sollte, dass Brennelemente dort hingebracht wurden, dann bedeutet das: Die Gefahr, die von diesem provisorischen Endlager ausgeht, ist noch größer, als bislang angenommen. Dafür gibt es auch einige Indizien. In den letzten Monaten gab es Meldungen, dass in der Asse Plutonium gefunden worden sei. Selbst die Fachleute wissen gar nicht, was da in diesen Tausenden von Fässern lagert.
WDR.de: Wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass die Kugeln verloren gehen? Und wo könnten weitere Brennelemente fehlen?
Döschner: Eigentlich darf es absolut nicht passieren, dass auch nur eine einzelne dieser Kugeln verloren geht. Es gibt einige Indizien dafür, dass es jetzt aber passiert ist. Wenn es so sein sollte, dann ist es ein Beleg dafür, dass es mit der Aufsicht über hochkritische Dinge wie Brennelemente in Deutschland offenbar nicht weit her ist. Das wäre ein zusätzliches Risiko. In NRW haben wir den Atomreaktor in Hamm-Uentrop, der seit vielen Jahren stillgelegt ist. Dort waren 675.000 Brennelementekugeln im Einsatz. Die sind angeblich jetzt zur Zwischenlagerung in Ahaus. Ich bin gespannt auf die Rechnung, die aufgemacht wird, wenn man da mal genau nachfragt, wo die bis zur letzten Kugel geblieben sind.
Das Gespräch führte Katrin Schlusen.