Castor-Behälter stehen im Forschungszentrum (FZ) Jülich

Unsicherheit bei NRW-Landesregierung

Wo sind die Brennelementkugeln?

Stand: 03.04.2011, 17:40 Uhr

Die Landesregierung vermisst 2.200 Brennelementkugeln aus dem stillgelegten Forschungsreaktor Jülich. Während Behörden noch über den Verbleib rätseln, wächst die Empörung über den laxen Umgang mit dem Atommüll.

Eine Kleine Anfrage der Grünen im Landtag könnte sowohl die Betreiber des ehemaligen Forschungsreaktors in Jülich als auch die Vertreter der Bundesregierung in Erklärungsnot bringen. Der Bund ist nämlich zu 90 Prozent an dem Forschungszentrum beteiligt, aus dem die Brennelementkugeln verschwunden sind. Aufgefallen war das Fehlen der radioaktiv verstrahlten Kugeln nach WDR-Informationen nur durch ein Rechenbeispiel. Die Zahl der Castorbehälter stimmte nicht mit der Zahl an Behältern überein, die notwendig gewesen wäre, um alle Kugeln darin zu verstauen.

Während Innovationsministerin Svenja Schulze (SPD) noch davon ausgeht, dass die Kugeln im Forschungsbergwerk Asse eingelagert wurden, zeigt sich das Bundesamt für Strahlenschutz ob dieser Annahme mehr als überrascht. Aus den Unterlagen des alten Asse-Betreibers Helmholtzzentrum München gehe nicht hervor, dass die jetzt vermissten 2.300 radioaktiven Brennelementkugeln aus dem stillgelegten Versuchsreaktor Jülich in dem Bergwerk Asse lagern. Es sei "nicht nachvollziehbar, dass der Betreiber der Jülicher Anlage und die Landesaufsicht nicht Auskunft geben können, wo die abgebrannten Kernbrennstoffe verblieben sind". Auch dürfen in dem Salzbergwerk nur schwach- bis mittelradioaktive Abfälle gelagert werden.

Verstrahlte Kugeln illegal entsorgt?

Die vermissten Kugeln jedoch bergen laut dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Oliver Krische aus dem Kreis Düren ein großes Gefahrenpotenzial. "Es handelt sich hier nicht um ein paar Kleinigkeiten, sondern um hochradioaktive, eventuell sogar mit Plutonium und Uran verstrahlte Brennelemente, die lebensgefährlich sind, wenn man in ihre Nähe kommt. Ich halte es für einen Skandal, dass knapp zehn Prozent der in Jülich eingesetzten Brennelemente mal eben so verschwinden." Möglicherweise seien die Kugeln "illegal und falsch deklariert in der Asse entsorgt worden" und dort jetzt ein wesentlicher Teil des milliardenschweren Problems in dem Endlager.

Auch bei anderen Politikern sorgt der Fall für Empörung. Für Hans-Christian Markert, Atomexperte der NRW-Grünen, sagt, es sei "ein erschreckendes Beispiel, wie lax mit radioaktiven Stoffen hier umgegangen wurde". Er hat ausgerechnet, dass in den verschwundenen Kugeln etwa 2,2 Kilogramm Uran 235 und 23 Kilogramm Thorium 232 stecken. Das wäre Stoff für mehrere schmutzige Bomben. Falls die Brennelemente benutzt worden sind, käme noch hochgefährliches Plutonium dazu.

Sind die Kugeln zerbrochen?

Der Reaktor, aus dem die Kugeln stammen, wird bereits seit 1988 zurückgebaut. Der Betreiber kündigte ab Montag (04.04.2011) umfassende Untersuchungen an, wo die Brennelementkugeln geblieben sein könnten. In einer ersten Stellungsnahme vermutetet das Forschungszentrum, dass die fehlenden Kugeln möglicherweise beim Ausbau zerbrochen sind. Dies wäre zumindest eine Erklärung dafür, warum mehr Kugeln in den Castorbehälter passten als vorgesehen. In diesem Fall, müsste das Gewicht der Behälter allerdings unterschiedlich ausfallen.

Das Forschungszentrum Jülich gab auch an, dass im eigenen Zwischenlager derzeit in 152 Castorbehältern 288.161 intakte abgebrannte Brennelementkugeln plus 124 Absorberkugeln aus dem benachbarten Hochtemperaturreaktor lagern. Zudem seien in der Zeit der Entwicklung und des Betriebs des Hochtemperaturreaktors "zahlreiche abgebrannte Brennelementkugeln zu unterschiedlichen Forschungszwecken untersucht" worden.

Endlager gilt als marode

Die in Jülich lagernden Castoren sollen nach den Plänen der Bundesregierung ins Zwischenlager Ahaus gebracht werden. Das will die rot-grüne Landesregierung verhindern. Die Jülicher Brennelemente dürften nur noch einmal transportiert werden und zwar in ein Endlager, hatte Wissenschaftsministerin Schulze gesagt. Im alten Salzbergwerk Asse sind von 1967 und 1978 insgesamt 126.000 Fässer mit Atommüll eingelagert worden - angeblich um die Endlagerung zu erforschen. Das Endlager gilt als marode und von Wassereinbrüchen bedroht. Das Bundesamt für Strahlenschutz bereitet derzeit eine mögliche Rückholung des Atommülls vor.

Das Land forderte von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) Aufklärung über die vermissten Kugeln. "Der Vorgang ist absolut alarmierend. Die Bundesregierung, und hier insbesondere der für Strahlenschutz zuständige Bundesumweltminister, muss schnellstens lückenlos aufklären", sagte Umweltminister Johannes Remmel (Grüne). Es gehe "möglicherweise um hochradioaktiv belasteten Atommüll".