Mutter und Lehrerin - und ohne Arme
Die stolze Schwerstarbeiterin
Stand: 27.11.2006, 06:00 Uhr
31 Schüler in der Klasse und drei Kinder zu Hause: Die Leherin Bärbel Drohmann weiß, was sie den Tag über zu tun hat. Wie viel Kraft sie dieses ausgefüllte Leben ohne Arme kostet, sehen ihr viele nicht an.
"Mathe bei Frau Drohmann ist ganz normal". "Die kann auch streng sein und sauer werden." "Die macht ganz viel mit den Füßen und hat sogar Brennball mit uns gespielt." Die Schüler aus der 7d am Gymnasium Selm reden über ihre Klassenlehrerin. Das erstaunlichste Urteil äußert Farina: "Die hat keine Nachteile mehr gegenüber anderen Lehrern. Der Rohrstock ist ja abgeschafft."
Mathe-Alltag
Tatsächlich täte sich Bärbel Drohmann mit dem Schlagen schwer, denn die contergangeschädigte Lehrerin hat nur sehr kurze Arme und unvollständige Hände. Aber damit hantiert sie vor der Klasse am Overheadprojektor und an der Tafel, mit Stiften, Kreide und Heften. Heute geht es um Dreiecke in Kreisen und Kreise in Dreiecken. "Geometrie mache ich nicht so gern", sagt Bärbel Drohmann, "wegen des Zeichnens." Ihrem Tafel-Dreieck sieht man das nicht an.
Lenken mit den Füßen
"Sie verbindet Zuneigung mit Strenge", bringt Direktor Ulrich Walter das Schülerurteil über die Lehrerin in Pädagogensprache. Walter ist sichtlich stolz, dass die Schule einiges tun konnte, um eine behinderte Lehrerin zu integrieren: An einem Eingang, ihrem Fachraum und dem Lehrerzimmer gibt es Automatiktüren. Ihre Tafel ist elektrisch zu steuern. Ein Laptop und ein Projektor wurden angeschafft. Finanziert hat das die Stadt als Schulträger mit Landeszuschüssen. Auch ihr Auto mit Fußsteuerung wurde bezuschusst. "Das kann ich mir nur leisten, so lange ich arbeite. Privat wäre es unbezahlbar."
Ein Hausmann stärkt den Rücken
Wenn Bärbel Drohmann ihr Auto vor dem Haus in Werne parkt, wartet ihr Mann schon auf sie. Seit Jahren ist er Hausmann. "Das verstehen viele in der Umgebung nicht", erzählt er: "Wie kann der seine behinderte Frau arbeiten lassen?" Dabei wäre die körperliche Hausarbeit für sie gar nicht zu schaffen. "Ich konnte meine Tochter ja schon nicht mehr halten, als sie fünf Monate alt war."Finanziell hängt die Familie vom Beruf der Mutter ab: Das macht sie stolz, belastet sie aber auch. Sie hat eine volle Stelle, von der ihr wegen der Behinderung acht Stunden erlassen werden. "Es kostet so viel Kraft, jeden Tag weiter zu machen."
Bärbel Drohmann leidet zudem unter Folgeschäden ihrer Behinderung: Der Rücken, dem zwei Bandscheiben fehlen, ist durch die Mehrbelastung des vielen Bückens lädiert. Dass im eigenen Haus vieles für sie konstruiert wurde - hoch angebrachte Türklinken, hohe Arbeitsflächen - gleicht die Mehrbelastung nicht aus. Nach mehreren Hüftoperationen spürt sie oft ihre Narben. Und es schmerzen die Finger beim stapelweise Hefte-Korrigieren. Die Armansätze haben keinen Streckermuskel. "Schreiben ist Schwerstarbeit", sagt Frau Drohmann.
"Ich will wohl immer perfekt sein"
Von der Kindergartengruppe behinderter Kinder in Bielefeld bis zur Lehrerin für Mathematik und Geografie ist Bärbel Drohmann einen weiten Weg gegangen. "Meine Mutter war Haushaltshilfe, bei uns hat zuvor niemand studiert", erzählt sie. Sie ging früh von zu Hause fort, studierte nach dem Staatsexamen noch Psychologie, machte eine Ausbildung zur Gesprächstherapeutin. "Ich will wohl immer perfekt sein." In der Ausbildung musste sie zwei Mal beweisen, dass sie schreiben kann: ihrem Fachleiter und vor der Einstellung einer Amtsärztin - obwohl sie da das Studium schon fertig hatte.
Schwangerschaft im Rollstuhl
Dass sie Kinder bekommen könnte, erkannte sie, als sie eine ebenfalls durch Contergan geschädigte Mutter traf. Aber auch dieser Weg kostete viel Kraft: Während der Schwangerschaften musste sie lange im Rollstuhl sitzen, der Körper machte die Belastung nicht mit. Zeitweise wurde sie zuckerkrank. Auch Depressionen sind Bärbel Drohmann nicht unbekannt. "Es gibt immer neue Hürden zu nehmen", sagt sie. "Aber bis jetzt habe ich Glück gehabt - und viel Unterstützung."