Plakat an einer Eingangstür zu einem Karstadt-Haus

Experte: Auch Staatshilfe hätte Arcandor nicht gerettet

"Insolvenz bringt auch Chancen"

Stand: 09.06.2009, 18:44 Uhr

Der Handels- und Touristikkonzern Arcandor ist insolvent. Handelsexperte Prof. Thomas Roeb von der FH Bonn-Rhein-Sieg erklärt, was das für Mitarbeiter, Gläubiger, Eigentümer und Karstadt-Kunden bedeutet.

WDR.de: Was ist die Aufgabe des Insolvenzverwalters, der jetzt bei Arcandor das Ruder übernimmt?

Thomas Roeb: Das Ideal bei einer Insolvenz ist ja eigentlich immer, die Geschäfte fortzuführen. Bei Arcandor gibt es allerdings schon sehr konkrete Interessenten für die meisten Teile des Unternehmens. Für die Karstadt-Häuser interessiert sich der Konkurrent Kaufhof - er wird den Großteil der Häuser übernehmen. Der Hamburger Otto-Konzern interessiert sich für Karstadt Sport und vielleicht auch für die profitablen Teile des Versandgeschäfts. Rewe hingegen hat bereits ein Auge auf Arcandors Thomas Cook- Anteil geworfen. Nur für den Versandhändler Quelle sieht es schlecht aus, da sind kaum Interessenten erkennbar. Für die Teile, die der Insolvenzverwalter nicht verkaufen kann, muss man die Schließung erwarten und natürlich mit entsprechenden Entlassungen rechnen.

WDR.de: Mitarbeiter sowie Konzernchef Eick hatten bis zur letzten Minute für eine Rettungsbeihilfe der staatlichen KfW-Bank von 437 Millionen Euro gekämpft. Ist die Insolvenz die schlechtere oder die bessere Lösung?

Roeb: Eine Rettungsbeihilfe hätte die Probleme des Konzerns - nämlich sinkende Profitabilität, sinkender Marktanteil - auch nicht lösen können. In der aktuellen Wirtschaftslage hätten diese Probleme weiter bestanden und in sehr kurzer Zeit - vielleicht in sechs Monaten, vielleicht etwas später - sowieso zu einer Insolvenz führen müssen. Die Rettungsbeihilfe wäre dann zum Teil fürs laufende Geschäft aufgezehrt worden, zum Teil hätte sie im Falle der Insolvenz die Konkursmasse erhöht. Ansonsten hätten die 437 Millionen Euro aber das Ende nicht abwenden können. Entlassungen wären auch so unvermeidlich gewesen. Eine Insolvenz ist nicht die schlechteste Lösung, sie bringt ja auch Chancen.

WDR.de: Wenn die Einzelteile des Unternehmens verkauft oder geschlossen werden, was passiert dann mit der Konzernzentrale in Essen?

Roeb: Ich gehe davon aus, dass die Zentrale mit ihren rund 3.000 Beschäftigten aufgelöst und die Mitarbeiter entlassen werden müssen, wenn das Insolvenzverfahren erst einmal abgeschlossen ist.

WDR.de: Haben die Eigentümer Madeleine Schickedanz und die Kölner Privatbank Sal. Oppenheim, die in den Augen der Bundesregierung nicht genügend Eigenkapital zur Rettung Arcandors zuschießen wollten, ihre Anteile jetzt verloren?

Roeb: Zunächst einmal ja. Ich schließe allerdings nicht aus, dass die Eigentümer noch rechtliche oder finanzielle Möglichkeiten finden, wenigstens Teile ihres Eigentums zu retten. Allerdings kommt die Insolvenz für sie zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt: durch die aktuelle Wirtschaftskrise sind alle Unternehmenswerte stark gesunken. Deshalb wird mit den Unternehmensteilen von Arcandor, die jetzt verkauft werden, wenig Geld zu erlösen sein.

WDR.de: Wie viele Karstadt-Häuser werden durch die erwartete Übernahme von Kaufhof überleben?

Roeb: 30 von insgesamt 90 Häusern werden wohl geschlossen, es können aber auch mehr werden, je nachdem wie sich die Wirtschaftslage entwickelt. Durchschnittlich kann man damit rechnen, dass die großen Filialen in Metropolen wie beispielsweise Köln eine höhere Überlebenschance haben als kleine Standorte in kleineren Städten, in denen die Kaufkraft auch nicht so hoch ist.

Grundsätzlich ist es sogar gut, dass Karstadt jetzt durch die erwartete Übernahme durch Kaufhof frischen Wind bekommt. Denn die schlechte Lage des Arcandor-Konzerns hat auch die guten, profitablen Häuser nach unten gerissen. Die Mitarbeiter dieser Karstadt-Filialen haben jetzt gute Chancen, übernommen zu werden. Für die unprofitablen Standorte sind Schließung und Entlassung der Mitarbeiter kaum abzuwenden. Die Arbeitsplätze gehen jedoch nicht völlig verloren. Die Gebäude werden nicht leer bleiben und die neuen Mieter benötigen auch Mitarbeiter. Denkbar wäre z. B., dass Kaufhof Teile der Flächen mit Mediamärkten und ähnlichem ausfüllt. Das ist allerdings keine Patentlösung für alle Standorte.

WDR.de: Was passiert jetzt mit den Waren und Lagerbeständen von Karstadt, und welche Chancen haben Kunden, ihre Garantien von Karstadt-Waren noch einzulösen?

Roeb: Es ist fraglich, ob Kaufhof und Karstadt ihre IT-Systeme so zusammenlegen können, dass Kaufhof die Karstadt-Waren einfach übernehmen könnte. Ich vermute, dass Karstadt seine Ware jetzt komplett abverkaufen wird, ob geordnet und zu normalen Preisen oder als Räumungsverkauf, wird man sehen. Was die Garantie auf die bei Karstadt gekauften Fernseher oder Toaster betrifft, ist nicht auszuschließen, dass diese nach der Übernahme erlischt.

Das Interview führte Petra Blum.