Aloisiuskolleg in Bonn

Aloisiuskolleg legt Abschlussbericht vor

Missbrauch und Gewalt über Jahrzehnte

Stand: 15.02.2011, 13:33 Uhr

Seit den 50er Jahren ist es am Bonner Jesuitengymnasium Aloisiuskolleg immer wieder zu Missbrauch, Gewalt und Psycho-Terror gekommen. Trotzdem hätten viele Verantwortliche weggesehen, heißt es im Abschlussbericht, der am 15. Februar 2011 vorgelegt wurde.

Schüler wurden blutig geschlagen und zutiefst gedemütigt, mussten sich nackt fotografieren und sexuell missbrauchen lassen: Die Fälle, die die Kölner Professorin für Sozialwissenschaften, Julia Zinsmeister, und ihr Team zusammen getragen haben, umfassen mehr als ein halbes Jahrhundert. 23 ehemaligen Mitarbeiter der Schule, von denen 18 dem Orden angehörten, wird vorgeworfen, ihre Zöglinge über Jahre gezüchtigt und genötigt zu haben.

Der Herrschaftsraum des Pater Georg

Mehr als die Hälfte der Fälle, von denen das Team in langen Gesprächen mit Betroffenen erfuhr, betrifft einen Pater, der vier Jahrzehnte lang an der Eliteschule tätig war und in dieser Zeit "Generationen von Schülern " misshandelte und missbrauchte. Dieser "Pater Georg", der auch Rektor war, machte Tausende von Fotos von nackten oder halbnackten Jungen, die er zum Teil sogar veröffentlichte und ausstellte - Fotos, die nicht als kinderpornografisch einzustufen sind, die aber, wie er selbst einräumte, "eine erotische Komponente" hatten. Er habe das Kolleg zielstrebig zu seinem "Herrschaftsraum" ausgebaut, so Zinsmeister. Inzwischen ist er allerdings verstorben, seine Taten wären ohnehin verjährt.

"Kultur des Wegsehens und Weghörens"

Skulpturen vor dem Aloisiuskolleg Bonn

Schein-Frieden

Der Pater hat in all den Jahren nie Schwierigkeiten bekommen, heißt es im Bericht. 58 Fälle werden dort aufgeführt, was nicht im entferntesten vollständig sei, wie die Autoren betonen. Aber auch bei denen gelte, so Zinsmeister: "Weggesehen haben eine Vielzahl Verantwortlicher." Die Taten wurden vom Orden demnach weniger vertuscht als einfach nicht wahrgenommen, ein Schuldbewusstsein war häufig nicht vorhanden. "Die Verdienste der Tatverdächtigen für das Kolleg wurden stets höher bewertet als die bekannten Übergriffe", sagte die Sozialwissenschaftlerin. Zinsmeister macht die Kultur des Jesuitenordens mitverantwortlich und fordert Konsequenzen: "Die Organisationskultur muss sich öffnen für Kritik." Auch das Kolleg spricht mittlerweile selbstkritisch von einer "Kultur des Wegsehens und Weghörens".

Manche sprechen immer noch von "Einzelfällen"

Für den Bericht hatte die Kommission seit dem Sommer 2010 Gespräche mit rund 150 Personen geführt; herangezogen wurden auch anonymisierte Aussagen, die vorher gemacht wurden. Die geschilderten Fälle passierten meistens in den 50er oder 60er Jahren, belastet wurden aber auch vier Ordensmitglieder und zwei weltliche Mitarbeiter aus den 70er bis 90er Jahren vor. Nicht alle verurteilen die Vorgänge: Einige ehemalige Zöglinge verteidigen die Schule, die auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Entertainer Stefan Raab besuchten, und sagen, es gehe nur um wenige Einzelfälle.

5000 Euro für die Opfer

Das Oberhaupt der deutschen Jesuiten, Stefan Kiechle, brachte in einer Stellungnahme seine Bestürzung und Beschämung zum Ausdruck. Er wies aber auch darauf hin, dass in dem betreffenden Zeitraum 245 Jesuiten am Aloisius-Kolleg gearbeitet hätten. Fünf davon würden nun "wegen sexualisierter Gewalt" beschuldigt. "Ist das viel, ist es wenig?", fragte Kiechle. "Jeder einzelne Fall ist schrecklich, und jeder einzelne ist zu viel."

Kiechle sprach davon, dass die Opfer zunächst 5.000 Euro als "symbolisches Zeichen" bekommen sollten. Ehemalige Schüler, die selbst missbraucht worden sind, nannten die Summe "Peanuts". Der Betrag müsse dem Orden auch weh tun, sagte ein Altschüler.

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