Ohne ADAC Risse in der Anti-Tempolimit-Front

Stand: 24.01.2020, 18:30 Uhr

Dass der ADAC sich künftig beim Thema Tempolimit neutral verhalten will, ist ein bemerkenswerter Schritt. Denn der Club hat viel Einfluss - und auch Automobilhersteller denken langsam um.

Das Thema Autobahn-Tempolimit schwappt einem immer wieder auf den Schreibtisch. Es ist mindestens die achte große Welle seit dem Jahr 2000. Neue Argumente sind selten, die Positionen bekannt.

Argumente liegen auf dem Tisch

Die Bundesregierung ist in Abwehrhaltung. Denn viel spricht für ein Tempolimit auf Autobahnen. Der wissenschaftliche Beirat des Bundesverkehrsministers plädierte schon vor zehn Jahren für Tempo 130. Die Gründe: mehr Sicherheit, weniger Lärm und Abgase, geringerer Spritverbrauch und in der Folge auch ein geringerer CO2-Ausstoß. Sogar die Kapazität der Schnellstraßen würde größer, weil der Verkehr gleichmäßiger fließt - was auch bedeutet: weniger Stress beim Autofahren. Die wichtigsten Gegenargumente sind der Wunsch der Automobilindustrie nach Überhol-Prestige, Reisezeit-Gewinne - die jedoch häufig überschätzt werden - und ein überholtes Freiheitsverständnis mancher Autofahrer. Dafür wird immer wieder der alte Slogan "Freie Fahrt für freie Bürger" hervorgekramt.

Ein einflussreicher Club

Die Kampagne von 1974 klebt am ADAC, obwohl sich der Club längst davon verabschiedet hat. Manchmal ist der ADAC nämlich mehr als plumpe Autolobby: 2011 etwa machte er sich im Clubmagazin "Motorwelt" für Radfahrer stark und titelte "Platz da für alle". Er erfand mit dem Eco-Test ein Prüfverfahren für halbwegs umweltverträgliche Automodelle und sparte während des Dieselskandals nicht mit Kritik an der Automobilindustrie. Oft war zwar der alternative Verkehrsclub VCD dem großen Bruder voraus. Aber wenn der ADAC nachzog, hatte das angesichts der vielen Mitglieder Wirkung in der Politik. So wird es jetzt auch beim Tempolimit sein. Weil die Mitglieder in Befürworter und Gegner gespalten seien, positioniert sich der ADAC neutral zum Tempolimit auf Autobahnen, argumentiert weder pro noch contra. Das ist neu und baut eine Brücke für Verkehrsminister Andreas Scheuer, der jeden Vorstoß bislang reflexartig ablehnte.

Tempolimit schon technische Realität

Zumal auch die Tempolimit-Gegner in der Autoindustrie nachdenklicher werden. Weil bei hohem Tempo die Akkus von Elektroautos ratzfatz leer sind, haben viele dieser Modelle ein längst ein technisches Tempolimit eingebaut. Und spätestens wenn das pilotierte Fahren kommt, wird das eingebaute Limit bei 130 liegen. Sprich: Wer E-Autos und Assistenzsysteme verkaufen möchte, hat gegen ein generelles Tempolimit nur noch wenig einzuwenden. Könnte also gut sein, dass die endlose Diskussion ums Tempolimit endlich ein Ende findet.

Hier schreibt Martin Gent, Redakteur und Reporter in der WDR-Wissenschaftsredaktion. Als Mobilitätsexperte ist er stets auf der Suche nach Perspektiven für den Verkehr von morgen

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