Im April kehren Millionen von Zugvögeln aus dem Süden zurück. Und im April säen viele Bauern gebeiztes Saatgut – Körner, die mit Insektengift behandelt sind. Oder sie spritzen die frisch ausgetriebenen Pflanzen.
Ob als Beiz- oder Spritzmittel: Was die Agrarindustrie besonders liebt und Umweltschützer seit Jahren heftig bekämpfen, sind die Neonicotinoide, kurz Neonics. Wenn Vögel auf einem Acker rasten und von der gebeizen Saat naschen, kann das für sie tödlich sein, sagt Corinna Hoelzel vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND).
Orientierungslos und appetitlos
Sie beruft sich auf eine 2018 in Belgien veröffentlichte Studie: "Ein bis zwei Zuckerrüben-Samen, die gebeizt sind, sind bereits tödlich für einen Feldsperling. Oder fünf Körner Mais sind tödlich für ein Rebhuhn."
Meistens aber ist eine Vergiftung mit Neonics für die Vögel zwar nicht tödlich. Studien zeigten aber, "dass die Orientierungsfähigkeit eingeschränkt ist," so Dirk Süßenbach vom Umweltbundesamt, und "dass die Nahrungsaufnahme gestört ist".
Die Folgen hat die kanadische Forscherin Margaret Eng an der Dachsammer untersucht, einem spatzengroßen Zugvogel Nordamerikas. Wenn die Vögel erstmals Körner fraßen, die mit einem Neonic namens Imidacloprid gebeizt waren, "verloren sie innerhalb von 24 Stunden 6,5 Prozent des Körpergewichtes, und nach drei täglichen Dosen 17 Prozent."
Nach mehrfacher Vergiftung fällt die Brut aus
Die derart vergifteten Dachsammern mussten im Schnitt 3,5 Tage länger rasten als ihre unvergifteten Artgenossinnen, "wahrscheinlich, um Energievorräte zurück zu gewinnen oder sich von der Vergiftung zu erholen."
Wenn sich ein Zugvogel auf seinem langen Weg mehrmals vergiftet, dann verspätet er nicht nur um Tage, sondern um Wochen. "Wenn er zwei Wochen zu spät kommt, dann brütet er vielleicht gar nicht mehr", erklärt Lars Lachmann vom Naturschutzbund (NABU). Der Altvogel hat die Giftattacken zwar überlebt, aber seine Art ist trotzdem gefährdet.
In der EU verboten, für Export freigegeben
Nun waren die Proteste der europäischen Umweltschützer nicht völlig vergebens. Das Imidacloprid, an dem sich in Amerika die Dachsammern vergiften, darf in der Europäischen Union nur noch mit Sondergenehmigung im Freiland eingesetzt werden. Generell sind in der EU nur noch zwei Neonincs fürs Freiland freigegeben.
Umweltschützerin Hoelzel sieht jedoch keinen Grund zur Entwarnung. 2018 seien "immerhin in Deutschland noch über 200 Tonnen" Neonicotinoide eingesetzt worden, "und circa 2.000 Tonnen, die in den Export gegangen sind."
Diese 2.000 Tonnen landen dann zum Beispiel auf den Feldern und Äckern Afrikas, auf denen unsere Zugvögel ebenfalls rasten. Sicher sind sie wohl erst, wenn Neonicotinoide weltweit geächtet werden.