Der Außenminister wirkt ganz entspannt. Mit einer Tasse Kaffee in der Hand steht Frank-Walter Steinmeier hinter dem Weltsaal des Auswärtigen Amtes und plaudert mit den Journalisten. Vielleicht ist er froh, dass er heute nicht als Krisenmanager gefragt ist, der nach Libyen reisen oder wegen der Ukraine verhandeln muss. Heute kann er einen Blick auf eine andere, große Krise werfen - oder, wie er es nennt: auf das "Krisengestrüpp", in dem sich Europa zu verheddern droht. Der Blick von Außen, den der Hausherr als Gast des WDR Europaforums da wirft, ist scharf. Aber, um es vorweg zu nehmen: Er ist auch optimistisch.
Angst vor dem Ende der EU
Dabei gab es noch nie soviele Probleme, die die EU selbst zum Krisenherd machen. Es ist nicht "nur" die Euro-, die Griechenland- oder die Ukraine-Krise wie bei den vergangenen Treffen, jetzt geht es um den Brexit, die Wahlerfolge der Populisten, die Folgen des Flüchtlingszustroms und das wenig solidarische Verhalten einiger Staaten. Auf einmal geht die Angst vor dem Ende der Union um. Zu Recht? WDR-Intendant Tom Buhrow, der als Erster aufs Podium tritt, entwirft ein eher düsteres Bild: "Ein junger Grieche hat neulich gesagt, ihm komme Europa wie eine Zweckgemeinschaft vor, dem der Zweck abhanden gekommen ist.' Ich finde diese Beschreibung sehr zutreffend." Die historisch begründete Begeisterung der Deutschen für das Ideal Europa werde möglicherweise gar nicht von den anderen Staaten geteilt, sagt der Intendant: "Wir sollten beginnen, neue Visionen zu entwickeln - und diesmal von Anfang an gemeinsam."
Der Mann mit der Krawatte
Auch Frank-Walter Steinmeier verschweigt nicht die dunklen Flecken, die die Welt gerade aufweist: IS-Terror, Krieg in Syrien, die Angst von immer mehr Menschen, die den Populisten in die Hände spielt. Er warnt auch vor den Folgen eines Brexits und den Zwang zur Veränderung: "Wenn wir in einem Jahr noch die Europäische Union haben, wie wir sie heute kennen, dann haben wir viel erreicht!", sagt er, und: "Es geht ums Zusammenhalten!" Ob das so pessimistisch gemeint ist, wie es klingt? Fast beschwichtigend schiebt der Hausherr nach: "Europa sieht von außen ganz anders aus." Da hat der Vielgereiste Lichtblicke ausgemacht: der jungen Tunesier, der das "Land Europa" preist, oder den Pförtner, der eine Krawatte mit Europa-Sternen umgebunden hat. "Das werden Sie hier nicht finden", sagt er. Dass die Fernsehkameras sofort einen Zuhörer mit Symbol-Krawatte entdecken, amüsiert das Publikum dann doch sehr.
Die Polen bleiben außen vor
Von Außen ins Beinahe-Abseits: Dass sich Polen zusammen mit seinen ost-europäischen Nachbarn gegen die europäische Flüchtlingspolitik stellt, sorgt ständig für Irrationen. Und der Ton wird wird immer rauer: Zuletzt bezeichnete Außenminister Witold Wasczykowski einen EU-Vorschlag als "Aprilscherz". Heute hätte er die polnischen Bedenken in großer Runde und vor laufenden Kameras erklären können. Stattdessen: kurzfristige Absage, keine Live-Übertragung aus Polen, auch keine Videobotschaft. So muss der Politikwissenschaftler Kai-Olaf Lang den Versuch unternehmen, die polnische Befindlichkeiten zu erklären. Ob das gelungen ist - das Publikum dankt es ihm jedenfalls mit viel Beifall.
Klare Ansage aus Berlin nach Britannien
Woran sie mit Jean-Claude Juncker sind, wissen die Zuhörer aber genau: ein leidenschaftlicher Europäer, der mit großer Ruhe markante Sätze sagt. "Ich bin weder zum Zucken noch zum Zocken bereit" etwa, als es um das Abkommen mit der Türkei geht: Da besteht die EU darauf, dass auch der Partner die Bedingungen einhält. Oder den Sonderregelungen für Großbritannien: "Das ist doch kein Buffet, wo man sich etwas aussuchen kann. In Europa muss man essen, was auf den Tisch kommt." Er hofft sehr, dass es nicht zum Brexit kommt, das wäre eine "Katastrophe", aber "das wird nicht passieren". Und wenn doch: "Wer den Tisch verlässt, darf nicht mehr mitessen." Eine klare Ansage aus Berlin nach Britannien - die der britische Botschafter Sebastian Wood gleich kommentieren darf. Er gibt, ganz Diplomat, zu verstehen, dass seine Regierung den Brexit nicht will.
Die Kontrahenten duzen sich - immerhin
Eine kurze Videobotschaft von Martin Schulz, dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, der erst am Abend nach Berlin kommen kann. Dann, kurz vor der Mittagspause, kommt doch noch ein Osteuropäer zu Wort: Der slowakische Europapolitiker Miroslav Lajczak liefert sich einen Disput mit dem luxemburgischen Außenminister Jean Asselborn - sozusagen Europa-Skeptiker gegen geborenen Europäer. Lajczak fällt es schwer, Asselborn davon zu überzeugen, dass sein Land gerne EU-Mitglied ist. Immerhin: Die beiden duzen sich. Die europäische Annäherung scheint doch zu funktionieren. Wie es damit steht, wie eine Schneise in das "Krisengestrüpp" geschlagen werden kann: Vielleicht hat die Bundeskanzlerin darauf eine Antwort. Sie wird nach der Mittagspause auf dem Podium sitzen - Europa aus allererster Hand.