50 Jahre Woodstock

Stand: 14.08.2019, 12:39 Uhr

Woodstock war mehr als neue, aufregende Musik. WDR print hat mit Tom Petersen und Peter Sommer über das Lebensgefühl einer ganzen Generation gesprochen.

Woodstock war mehr als neue, aufregende Musik. Woodstock stand und steht für das Lebensgefühl einer ganzen Generation, ihre Hoffnungen und Träume. Europa erfuhr allerdings erst Anfang der 70er, dass 1969 auf einem Acker in den USA ein Mythos geboren wurde.

Im August 1969 fand auf einer Wiese, 100 Meilen von New York entfernt, ein Hippie-Festival statt, von dem in Europa zunächst niemand Notiz nahm: "Woodstock Music & Art Fair presents An Aquarius Exhibition – Three Days of Peace and Music". Erst der Dokumentarfilm und der Soundtrack machten "Woodstock" weltberühmt. WDR 4-Redakteur Tom Petersen und Rockpalast-Redakteur Peter Sommer waren damals gerade elf und zwölf Jahre alt, aber Fans der Ersten Stunde. Christian Gottschalk sprach mit ihnen über Musik und Mythos.

Was ist das Erste, das Ihnen zu Woodstock einfällt?

Tom Petersen: Eigentlich versank alles im Chaos, und wie durch ein Wunder konnten sehr viele Menschen friedlich miteinander leben.

Peter Sommer: Totale Jugendliebe. Ich war zwölf und habe die Mondlandung mitbekommen, aber Woodstock nicht. Als dann die Platte rauskam, war ich sofort verliebt. Kurz drauf sah ich den Film "Three Days of Peace and Music". Da war ich 14 oder so. Mein Kumpel und ich haben kackfrech den Mädels gegenüber behauptet: "Wir waren da in Woodstock bei diesem Festival." Das Dolle ist: Die haben das geglaubt. Wir waren die Helden!

Petersen: Ich komme aus Holstein, wir hatten ja unser eigenes Woodstock, ein Jahr später auf Fehmarn, als Jimi Hendrix seinen letzten Auftritt in Deutschland abgeliefert hat. Da wollte ich hin mit zwölf. Meine Eltern haben es mir verboten. Ich war tieftraurig, weil ich die Musik schon damals super fand. Ich musste das alles nachholen, durch "Woodstock the movie" und "Woodstock the Platte".

Film und Platte waren also bei Ihnen beiden die erste Begegnung mit Woodstock?

Petersen: 1969 hat hier garantiert kein Mensch mitgekriegt, dass das überhaupt stattgefunden hat. Das kam erst Anfang der 70er. Ich habe recherchiert: Im WDR war Woodstock nicht existent.

Sommer: Wir haben einen Tagesschau-Bericht von 1969 gefunden. Der spricht nicht von einem Festival, der spricht nicht von Rock, der spricht nicht von Woodstock. Die wussten gar nicht, was da los ist. Erst ein Film machte "Woodstock" weltberühmt.

Was fasziniert Sie an Woodstock?

Petersen: Damals war alles Neuland. In diesen musikalischen Gefilden war noch nie jemand gewesen. So wie Hendrix hat weder vorher noch nachher jemand gespielt. Oder Santana mit ihren Rhythmen – das war völlig neu.

Sommer: Es war eine andere Art zu leben. Wenn ich diese Bilder sehe, im Film oder auch das Plattencover, beschleicht mich eine Art von Wehmut. Heute sind alle mit sich und ihren Smartphones beschäftigt.

Petersen: Die Musik bedeutete etwas. Für Heranwachsende wie uns war das eine Weltanschauung. Man konnte sich dadurch wunderbar absetzen, war ein bisschen cooler, wenn man das gut fand. Das war gehobener Musikgeschmack. Die Musik hatte eine politische Botschaft und diesen anarchischen Touch. Wenn beispielsweise Country Joe McDonald das Publikum F.U.C.K. buchstabieren ließ. Jefferson Airplane sangen in Volunteers "Got the revolution", Jimi Hendrix zerschredderte die Nationalhymne.

Sommer: Dieses naive, kindliche Gefühl, dass Musik einfach nur Musik ist – jenseits von Kommerz und Management, die alles einschränken. Da stehen Leute auf der Bühne, die sie machen, und unten sind welche, die sie hören. Und irgendwie sind alle eine große Familie.

Petersen: Auf einmal waren wir viele. Das war das erste Mal das Gefühl: Hier ist eine nennenswerte Zahl von Menschen, die Gleiches denken, die etwas Gleiches wollen. Das war, glaube ich, das Wichtigste an Woodstock: die Solidarität.

Sommer: Der Protest gegen den Vietnamkrieg war allgegenwärtig. In Ansagen und Songs. Neben der Musik war da natürlich die Art, wie man sich kleidet. Batik-Hemden...

Petersen: …Stirnbänder…

Sommer: Da gab es noch Abgrenzung. Heute sehen die Kinder aus wie ihre Eltern

Das Festival wurde zunächst eigentlich Opfer seines Erfolges: Sowohl die Straßen als auch die Toiletten waren verstopft. Warum wurde Woodstock zur Legende?

Petersen: Vielleicht gerade deswegen. Es war gegen alle Chancen, dass das überhaupt ein Erfolg werden konnte. Da war Chaos. 400.000 Leute, die die Zäune einrissen, nicht genügend sanitäre Anlagen und zu wenig Essen. Eine Katastrophe. Dass es trotzdem ohne besonders viele Verletzte über die Bühne ging, ist das eigentliche Wunder. Die müssen sich alle so gut verstanden haben, dass sie trotz Schlamm, Regenstürmen und elektrischen Schlägen auf der Bühne so ein Festival durchführen konnten.

Sommer: Aber ohne den Film hätte es diese Öffentlichkeit nie erreicht. Wir säßen heute nicht hier und würden über das 50-jährige Jubiläum philosophieren. Wir hätten gar nicht davon erfahren.

Was ist Ihr Highlight zum Thema im WDR 4-Programm?

Petersen: Die kleine Elefantenrunde, die ich zusammengestellt habe. Mit unserem Moderator Wolfgang Niedecken, dem Gitarristen Carl Carlton; der hat mit Maffay und Lindenberg gespielt und tatsächlich auf Einladung von Levon Helm von "The Band" später in Woodstock gelebt. Der kennt sich in der Gegend aus und kann wunderbar erzählen. Dann habe ich Ernest Hartz dazu gebeten, der als Veranstalter seine Sicht der Dinge einbringen kann.

Haben Sie auch Leute aufgetrieben, die dabei waren, für die das Festival in dem berühmten Stau begann?

Petersen: Wir treffen Graham Nash, der mit Crosby, Stills, Nash und Young dort gespielt hat und Miller Anderson von der Keef Hartley Band. Wobei die Musiker eher mit dem Helikopter eingeflogen wurden. Aber es gibt Schilderungen aus erster Hand.

Sommer: In unserem Film "Woodstock – Wie der Mythos entstand" kommen natürlich Zeitzeugen vor. Zum Beispiel einer, der selber mit der Schmalfilmkamera gefilmt hat. Aus dem Rohmaterial werden gerade kleine Stücke für unsere gemeinsame Website geschnitten, zu Themen wie Drogen oder: Wie begegneten sich Hippies und Landeier? Die Musik haben wir hier im Studio nachempfunden. Das ist ziemlich geil geworden.

Herr Sommer, welchen Film sollte man gucken, wenn man Woodstock verstehen will?

Sommer: "Three Days of Peace and Music". Es gibt kaum einen Film, den ich mir so oft angucken kann ohne gelangweilt zu sein. Ich sitze davor, und ich bin sofort drin. Und natürlich die WDR-Produktion "Woodstock – Wie der Mythos entstand". Ein toller Film.

Wie hat sich in all den Jahrzehnten der mediale Blick auf Woodstock verändert?

Petersen: Zuerst stand im Fokus, die Hippies zu erklären: Was wollen die? Wie sehen sie die Welt? Da war der WDR ein pädagogischer Sender, der die sozialwissenschaftlichen Hintergründe des Phänomens erkunden wollte. Später fragte man: Was ist die Bedeutung für die Popgeschichte, was begann dort, was immer noch gilt? Heute sind die großen Zusammenhänge erzählt, und wir suchen Alltagsgeschichten: Was waren da für Menschen? Wie fühlte sich das an, in einem nassen Zelt zu sitzen? Die letzte Einstellung im Woodstock-Film: Jimi Hendrix̕ Auftritt am Sonntagvormittag, und da stehen nur noch ein paar Leute auf einem vermüllten Feld herum. Romantik sieht anders aus.

Aus heutiger Sicht und nach heutigem Kenntnisstand: Wären Sie damals 20 gewesen, wären Sie gerne dabei gewesen?

Petersen: Natürlich. Gar keine Frage. Mein erstes Festival war Roskilde in Dänemark. Da sind wir schön unter dem Zaun durch. Das vergisst du nicht, egal ob das Wetter scheiße war oder du nichts zu essen hattest.

Sommer: Ja. Ich wäre ja schon meiner eigenen Lüge wegen verpflichtet.