Mit Click im Ohr: So entstand die Musik zu "Bonn - Alte Freunde, neue Feinde"
Stand: 12.01.2023, 11:01 Uhr
- WDR Funkhausorchester spielte Filmmusik zur Serie "Bonn - Alte Freunde, neue Feinde" ein
- Serie ist ein Politthriller um die rivalisierenden Geheimdienste Bundesverfassungsschutz und Organisation Gehlen, dem späteren BND
- Drei Dokumentationen rund um die Serie
Die Geräte sind klein, schwarz und stecken bei Klarinettist Andy Miles und seinen Kolleg:innen im Ohr. Sie sitzen auf der Bühne der Kölner Philharmonie, auf den Notenständern die Partitur zur Filmszene "6 M 15 - Otto John verlässt Bonn". Aus dem Aufnahmeraum meldet sich der Tonmeister: "Wir hören den Click ab Takt 3 und spielen ab Takt 5." Auf die Ohren bekommen die Musiker:innen schnelle Clicktöne als stünde ein Metronom neben ihnen. Filmsequenzen sehen sie keine, sie hören nur den Click. Bei Takt 5 legen sie los. "Der Click gibt die Geschwindigkeit der jeweiligen Szene vor", erklärt Andy Miles. "So passt die Musik, die wir spielen, synchron auf die Bilder, die dazu im Film zu sehen sein werden.“
Clicks geben Musiktempo an
47 Musiker:innen des WDR Funkhausorchesters spielen im Februar 2022 die Musik zur sechsteiligen Serie "Bonn - Alte Freunde, neue Feinde" ein. Dabei hilft ein digitales Verfahren: der Clicktrack. Entscheidend dabei: "100 Prozent Konzentration und Präzision!", sagt Erster Gastdirigent Enrico Delamboye. Die Clicks geben das Tempo der Musik in Schlägen pro Minute an. "In der Klassik kann ein Stück mal 104, mal 108 Schläge pro Minute haben, der Unterschied ist für das menschliche Ohr kaum wahrnehmbar. Wenn wir Filmmusik einspielen, müssen wir die Musik präzise zum bereits geschnittenen Film liefern: Heute hatten wir einmal die Vorgabe von 112 ½ Clicks. Da gibt es keinen Millimeter Interpretationsfreiheit."
Erster Gastdirigent Enrico Delamboye: "100 Prozent Konzentration und Präzision!"
Komponiert hat die Filmmusik Florian Tessloff. Dass der WDR ihm sowohl das WDR Funkhausorchester als auch die WDR Big Band zur Verfügung stellte, empfindet der Komponist "als Riesenprivileg". Es sei selten geworden, dass Filmmusik von einem Orchester eingespielt werde. "Dabei gibt es der Musik große Tiefe, Definiertheit und eine persönliche Note, wenn man Menschen hat, die sie spielen." Das Besondere an seinem "Score", also seiner Filmmusik: Die Stücke, die er für die WDR-Ensembles schrieb, stehen nicht für sich. Tessloff ergänzte sie mit elektronischen Kompositionen, die er am Computer programmierte. "So entsteht eine ganz eigene Klangästhetik."
"Bonn - Alte Freunde, neue Feinde" spielt 1954 inmitten des Kalten Krieges: ein Politthriller um die rivalisierenden Geheimdienste Bundesverfassungsschutz und Organisation Gehlen, dem späteren BND, und eine mitreißende Familiengeschichte der 20-jährigen Toni Schmidt. Die Serie basiert auf historischen Tatsachen. Um die Authentizität zu unterstreichen, verzichtet die Musik auf jede Effekthascherei oder Verspieltheit. "Das Genre 'Spionagethriller' darf nicht glorifiziert werden durch die Musik: Jeder Impuls hier 'James Bond' hören zu wollen, wäre falsch", betont der Komponist. Seine Kompositionen lehnte er an die 1950er Jahre und insbesondere den Jazz an. Aber. "Es klingt nicht wie typischer Big Band-Sound. Die klassischen Instrumente werden modern gespielt."
Komponiert hat die Filmmusik Florian Tessloff.
Wie das geht, zeigen die Kontrabässe in der Kölner Philharmonie. Auf den Notenständern liegt das Stück "6 M 16" mit dem Titel "KGB". Florian Tessloff bittet die Musiker:innen: "Ist es möglich, auf den Seitenhalter zu klopfen? Wir nehmen dann den Korpusklang mit." "Für mich ist die Aufgabe von Filmmusik auch, Sounds zu kreieren, bei denen man aufhorcht und sich fragt: Was war das gerade?", so Tessloff.
Musikkonzept eng mit Regisseurin abgestimmt
Das Filmmusikkonzept entwickelte er in enger Abstimmung mit Regisseurin Claudia Garde, die auch das Drehbuch mitverfasste. Die beiden arbeiteten bereits beim ARD-Film "Ottilie von Faber-Castell - Eine mutige Frau" zusammen. "'Bonn - Alte Freunde, neue Feinde' ist ereignisreich, schnell, mit vielen Dialogen", beschreibt Claudia Garde. "Da ist klare Abgrenzung nötig, das gelingt, indem wir die Musik immer wieder auf einzelne Instrumente oder Instrumentengruppen reduzieren."
47 Musiker:innen des WDR Funkhausorchesters spielten im Februar 2022 die Musik zur sechsteiligen Serie "Bonn - Alte Freunde, neue Feinde" ein.
Im Zentrum der Filmmusik steht die Protagonistin Toni Schmidt, die sich einen Platz in der von Männern dominierten Gesellschaft erkämpft. "Durch sie tauchen die Zuschauer:innen Stück für Stück in dieses dunkle und weitgehend unbekannte Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte ein. Das hat etwas Labyrinthisches und das beschreibt die Musik mit."
"Man fängt an, auf die Musik zu hören, und muss einfach dranbleiben!"
Filmmusik soll begleiten, sagt Claudia Garde, weicht davon in "Bonn - alte Freunde, neue Feinde" aber auch bewusst ab. In Folge 1 rennen Wolfgang Berns, Mitarbeiter des Bundesverfassungsschutzes, und ein Dokumentenfälscher durch ein Treppenhaus aufs Dach. Eine typische Verfolgungsjagd, aber die Musik macht den Unterschied: "Sie erzeugt einen solchen Druck, dass das Adrenalin der Figuren sich fast auf die Zuschauer:innen überträgt", so Claudia Garde. "Man fängt an, auf die Musik zu hören, und muss einfach dranbleiben!"
Drei Dokumentationen rund um die Serie
Die Drama-Serie "Bonn - Alte Freunde, neue Feinde" (Redaktion: Götz Vogt) beruht auf wahren Begebenheiten im Spannungsfeld des Kalten Krieges. Sie ist ein politischer Thriller zwischen rivalisierenden Geheimdiensten, Seilschaften im Altnazi-Milieu und einer jungen Frau, die sich ihren Platz in einer von Männern dominierten Gesellschaft erkämpft. Aber auch eine spannende Familiengeschichte mit dunklen Geheimnissen, die im Rheinland und in der damaligen bundesdeutschen Hauptstadt spielt. Gedreht wurde an historischen Schauplätzen und originalgetreu ausgestatteten Sets, die den Zeitgeist der 50er Jahre wieder lebendig werden lassen.
"Bonn - Alte Freunde, neue Feinde" wird am Dienstag, 17.1., Mittwoch, 18.1. und Dienstag, 24.1.2023 in Doppelfolgen zur Primetime im Ersten ausgestrahlt. Bereits ab 11. Januar sind alle Folgen in der ARD Mediathek zu sehen. Begleitend dazu gibt es eine Dokumentation "Alte Freunde, neue Feinde - Die Doku" (Autor: Marius Möller / Redaktion: Mathias Werth) zu den in der Serie behandelten historischen Ereignissen sowie eine Geschichtsdokumentation mit dem Titel "Ständige Vertreter - Die Bonner Kanzlerjahre" (Autor: Marius Möller / Redaktion: Mathias Werth) im Programm des Ersten; außerdem eine sechsteilige Dokumentation "Die Spioninnen" (Autor:innen: Lena Breuer und Marius Möller / Redaktion: Mathias Werth) in der ARD Mediathek.