Sick of it - Statements einer Sterbenden

Sick of it – Statements einer Sterbenden

Stand: 18.11.2021, 11:06 Uhr

  • Sprecherin Franziska Knost lebt seit 20 Jahren mit Krebs und wird bald sterben
  • Podcast über ihre Krankheitsgeschichte
  • Gesellschaft benötigt andere Erzählungen über Tod und Sterben

Von Christine Schilha

Seit 20 Jahren lebt Franziska Knost (41) mit Krebs. Nun steht fest: Sie wird bald sterben. Die professionelle Sprecherin will ihre Krankheitsgeschichte öffentlich machen und ist froh, den WDR für ihren ungewöhnlichen Podcast gewonnen zu haben: Mit "Sick of it - Statements einer Sterbenden" liefert sie keine Mut-Mach-Mantras oder Bucket-List, sondern eine "Fuck-it-List" mit Dingen, auf die man im Leben getrost verzichten könne.

Es beginnt mit einer Trigger-Warnung: "In diesem Podcast wird über Krankheit und Sterben gesprochen, manchmal auch auf humorvolle Weise … aber diese Geschichte hat kein Skript, sie ist Realität. Wenn dich das zu sehr belastet, hör ihn dir lieber nicht oder besser mit einer anderen Person zusammen an." Man kennt diese warme, angenehme Stimme. Irgendwo hat man sie auf jeden Fall schon mal gehört: in verschiedenen TV-und Radioformaten von ARD und WDR, in Werbespots, vielleicht auch in der Warteschleife von Borussia Dortmund oder im Programm der heimischen Sprachassistentin. Klar, dass Franziska Knost der Welt kein Buch als Vermächtnis hinterlässt. Sie will sprechen: über "Klischeekisten" und "Diskriminierungsscheiße", mit der Kranke in der Gesellschaft konfrontiert sind. Und über den daraus resultierenden "Selbstschutz" bis hin zur "Selbstverleugnung". "Ich muss die Kacke, die ich jahrelang in mir getragen habe, jetzt noch irgendwie raushauen", sagt sie zu ihren Beweggründen für den Podcast.

Keine Kämpferin

In der ersten Folge spricht Franziska mit ihrem Gegenüber Tamer Jandali unter anderem über die Kampfrhetorik, die im Zusammenhang mit Krankheit gerne benutzt wird. "Man ist entweder die starke Heldin, die Kämpferin oder die Bemitleidenswerte", sagt Franziska, dazwischen gebe es nichts. Mit brüchiger und wütender Stimme verwehrt sie sich dagegen, dass sie nach so langer Zeit, die sie mit der Krankheit leben musste, am Ende einen Kampf verloren haben soll und damit als Loserin aus der Welt geht. Ihr Gesprächspartner gibt erschüttert zu: "Ich hab‘ auch noch nie so drüber nachgedacht."

"In der ersten Folge mussten Tamer und ich uns erstmal eingrooven", meint Franziska. Die zweite sei schon deutlich lockerer geworden. Jandali ist kein Journalist, sondern Künstler und Filmemacher. "Er ist ein sehr emotionaler Mensch, der sehr gute Fragen stellen kann. Intime Gespräche führen ist sein Talent", sagt WDR-Redakteurin Corinna Liedtke, die Tamer schon seit dem Studium kennt.

WDR-Redakteurin Corinna Liedtke

Kein "Heul-Podcast": Redakteurin Corinna Liedtke

Für Franziska war er kein Fremder, aber auch niemand, der ihr zu nahe stand. Es sollte schließlich kein "Heul-Podcast" werden, betont sie.

"Bin ich der richtige Gesprächspartner?"

 "Bin ich dem gewachsen? Halte ich das aus?", waren die ersten Fragen, die Tamer sich stellte, als er gefragt wurde, ob er beim Podcast mitmacht. Und immer wieder ging ihm durch den Kopf: "Kann ich Franziska, ihrer Situation und ihrem Podcast gerecht werden, ihr die richtigen Fragen stellen, ihr ein passender Gesprächspartner sein für so ein extrem intimes Projekt?" Eigentlich laufe er gerne vor dem Thema Krankheit und Tod weg. Schließlich fand er das Projekt aber so spannend, dass er sich dem stellen wollte. Im Gegensatz zu Franziska ging Tamer relativ unvorbereitet in die Gespräche, die nicht im Studio, sondern in einem Kölner Café aufgezeichnet wurden. Bisher hat er sich die ersten fertigen Folgen noch nicht angehört - er will an die nächsten Aufzeichnungen genauso frei und unvoreingenommen herangehen. "Und ich verlasse mich auch darauf, dass die Redaktion mir schon sagt, wenn ich was anders machen soll."

Die Fuck-it-List

Geplant sind sieben Folgen à 45 Minuten. Die Zwiegespräche werden ergänzt durch dazwischen geschnittene Texte, in denen Franziska manches Gesagte noch einmal aufgreift und erörtert. Auch Menschen aus Franziskas Umfeld kommen zu Wort. Dabei dreht sich jede Folge um ein Thema, das auf die Fuck-it-List gesetzt wird. Zum Auftakt geht es in einer Doppelfolge um das "Dazugehören wollen“ und "Die große Liebe finden". Weitere Folgen sollen die Themen "Eine gute Mutter sein", "Karriere machen", "Begehrenswert sein" und "Festhalten/Loslassen" aufgreifen. Alles vermeintlich erstrebenswerte Wünsche und Ziele, "wenn man dauerhaft Teil der gesunden Leistungsgesellschaft ist", so Franziska, "aber mal ganz ehrlich: Wer von uns ist das schon?"

Eine andere Perspektive auf Krankheit

Für das Projekt hat Franziska sich ihr "Dreamteam" zusammengestellt. "Es war klar: Ich kann das nur mit Personen machen, denen ich vertraue." Das gelte sowohl für alle Beteiligten der Flow Media Company (Produktion), den Macher:innen von Farhouse Media (Realisation) als auch für Corinna Liedtke, die normalerweise im WDR fiktionale TV-Produktionen betreut. In ihrem Zweitjob als freie Producerin hatte Franziska mit ihr zusammengearbeitet und ist ihr auch freundschaftlich verbunden. "Wenn ich ausfallen sollte, dann wird das in meinem Sinne weitergeführt", ist sich Franziska sicher

"Es braucht andere Erzählungen"

Da es sich um ein Audioprojekt handelt, ist Brigitte Jünger (PG Kulturraum) als redaktionelle Beratung Teil des Teams. Sie kümmert sich auch um den Rückkanal für das Publikum, der via Mail und Kommentarfunktion eingerichtet ist. Nathanael Keidel aus dem Kulturlabor unterstützt tatkräftig, so dass der Podcast seinen Weg auf die Streaming Plattformen und somit zum Publikum findet. Die Abteilung Marketing begleitet den Podcast mit einer Social Media Kampagne. Das ganze WDR-Team habe sich ins Zeug gelegt, damit Franziska die Veröffentlichung noch miterleben kann. Die freut sich, dass das Projekt von einem ihrer Hauptauftraggeber realisiert wird: "Ich finde es auch toll, dass es sich um ein niedrigschwelliges öffentlich-rechtliches Angebot ohne Bezahlschranke handelt."

Franziska wünscht sich, dass sich möglichst viele Menschen, die selbst nicht krank sind, den Podcast anhören. Alle sollten die persönliche Bucket-List radikal redigieren - auch ohne Todesdrohung im Nacken. Und: "Die Diskriminierung, die Kranke und Behinderte erfahren, ist ja meist nicht bewusst sondern unbedacht. Es braucht andere Erzählungen, um das zu ändern. Und meine Perspektive ist eine von vielen."

Sick of it – Statements einer Sterbenden

Podcast in der ARD Audiothek und auf vielen weiteren Plattformen

Folge 1 und 2 ab 18. November

"Dazugehören wollen - Wie sehr kannst du dich verbiegen?"

"Die große Liebe - Wer nimmt schon eine kranke Frau?"

weitere Folgen immer donnerstags im wöchentlichen Rhythmus