Rundfunk in Trümmern - der Wiederbeginn 1945

Stand: 08.05.2020, 15:49 Uhr

Ein findiger Tontechniker brachte nach der Zerstörung des alten Funkhauses die Sendetechnik vor den Nazis in Sicherheit und ermöglichte damit nach Kriegsende die Wiederaufnahme des Sendebetriebs in Köln.

Als der Krieg zu Ende war, lag Köln in Trümmern. Das Funkhaus des ehemaligen "Reichssenders Köln" in der Dagobertstraße war zerstört, an Rundfunksendungen war am 8. Mai 1945 nicht zu denken. Und doch wurde bereits Ende September wieder aus Köln gesendet, wenn auch zunächst nur eine Stunde am Tag. Nach Mozartklängen meldete sich der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR). Wie es dazu kam und wie das Radio damals klang, weiß Petra Witting-Nöthen, Leiterin des Unternehmensarchivs des WDR.

Am 8. Mai 1945 wurde im Berliner Rundfunk die Kapitulationserklärung der Wehrmacht verlesen, die den Zweiten Weltkrieg in  Deutschland beendete. Wie stand es zu diesem Zeitpunkt um den Rundfunk in Köln?

Petra Witting-Nöthen: In Köln wurde bei Kriegsende schon lange kein Rundfunk mehr produziert oder gesendet. Die letzte eigene große Sendung war am 20. April 1941 "Fröhliche Musik vom Rhein". Das Reichspropagandaministerium stellte am 3. November 1942 offiziell das Senden aus Köln ein. Das Funkhaus in der Dagobertstraße 38 war im Mai 1942 von einem Bombenangriff zerstört worden, die Decken waren eingestürzt, es gab weder Fenster noch Mobiliar.

Außerdem fehlten die Fachleute, die man gebraucht hätte, um ein Radioprogramm zu machen: Die meisten Sprecher und Techniker wurden in die Wehrmachtspropaganda eingezogen und waren nun Kriegsberichterstatter. Kurz vor Kriegsende war der Sender Langenberg auf Befehl der Nationalsozialisten vom "Postschutz" gesprengt worden, damit er den Alliierten nicht in die Hände fiel. Damit war jede Möglichkeit des Sendens zerstört worden.

Radio in der NS-Zeit: Stimme des Regimes

Nach der Verstaatlichung und Gleichschaltung aller Rundfunkgesellschaften durch die Nationalsozialisten zu Beginn des Dritten Reichs war in Köln der "Reichssender Köln" entstanden. Was sendete er bis zur Einstellung des Programms 1942?

Witting-Nöthen: Es gab Unterhaltungssendungen wie "Der frohe Samstagnachmittag" und "Die Werkpause" sowie Konzerte. Im Wesentlichen waren es Kultur-, Unterhaltungs- und Musiksendungen.

Politische Informationssendungen und Nachrichten kamen ausschließlich zentral aus Berlin. Das war übrigens auch schon in der Weimarer Zeit so. Der Rundfunk selbst diente als Kulturinstrument, zur Unterhaltung und auch für Informationen, aber nicht zur politischen Willensbildung. Die war von der Regierung gesteuert. Was es aber zum Beispiel in der Weimarer Zeit in Köln gab war eine Diskussionssendung des damaligen Intendanten Ernst Hardt der Westdeutsche Rundfunk AG (WERAG), wie der Rundfunk in Köln damals hieß. In der Sendung "Gespräche über Menschentum" wurden aktuelle kulturelle Themen aufgegriffen, darunter auch Fragen wie "Was ist der Kommunismus?" Das lief unter Bildungsthemen.

Ein Kölner Bauunternehmer, ein Techniker und ein Rennfahrer

Nach Kriegsende gehörte Köln zunächst zur amerikanischen, dann zur britischen Besatzungszone. Wie und wann kam der Sendebetrieb hier wieder in Gang?

Witting-Nöthen: Die Briten wollten den Rundfunk schnell wieder aufbauen und hatten bereits von Hamburg aus wenige Stunden nach der Besetzung des unzerstörten dortigen Funkhauses am 4. Mai 1945 wieder gesendet. Auch in Köln sollte das Funkhaus wieder errichtet werden, um den Rundfunkbetrieb aufzunehmen. Daran war ein Kölner Bauunternehmer maßgeblich beteiligt. Peter Bauwens schrieb am 29. Juni 1945 einen Brief an den Kölner Bürgermeister Dr. Fink, in dem er anbot, eine "vollständige Sendeapparatur, dem Reichssender Köln gehörig", zu organisieren. Diese habe ein befreundeter Tontechniker aus dem Funkhaus in Sicherheit gebracht und in Michelstadt untergebracht - also in der amerikanischen Besatzungszone.

Dieser Techniker namens Weber wiederum hatte einen Schwiegersohn, der Rennfahrer war und wohl gute Beziehungen zu den Amerikanern hatte, und wurde nun angewiesen, diese Anlage über die Zonengrenze nach Köln zu bringen. Die Briten jubelten und reparierten außerdem den Sender Langenberg, so dass bereits Ende September aus Köln wieder gesendet werden konnte.

Wissen Sie Genaueres über die "Rettungsaktion" der Herren Bauwens und Weber?

Witting-Nöthen: Wie die Rettung gelang, darüber gibt es leider keine Aufzeichnungen. Erhalten ist das Schreiben von Paul Bauwens an den Kölner Bürgermeister, nach dem er ein großer Freund des Rundfunks zu sein scheint. Aber sicher witterte er als Bauunternehmer auch einen großen Auftrag - zu Recht, denn seine Firma war auch maßgeblich am Wiederaufbau des Funkhauses beteiligt. Der Kölner Klüngel funktionierte also auch kurz nach dem Krieg wieder. Auch darüber wie der Tontechniker Weber die Sendeanlage in Sicherheit gebracht hat, wissen wir nichts. Aber zumindest hatte er erkannt, dass sie irgendwann noch gebraucht werden könnte, und hatte die Weitsicht, sie nicht den Nationalsozialisten zu überlassen, die die Anlage sicher zerstört hätten.

Briten suchten unbelastete Radiomacher für Köln

Gibt es Informationen zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die den Wiederaufbau des Rundfunks in Köln begleitet haben? Was geschah mit jenen, die auch im Dritten Reich unter den Nationalsozialisten tätig gewesen waren?

Witting-Nöthen: Grundvoraussetzung für eine Einstellung nach dem Krieg war die Entnazifizierung. Die Briten suchten natürlich Mitarbeiter, die politisch unbelastet waren. Hier boten sich Widerstandskämpfer wie Max Burghardt und Karl-Eduard Schnitzler an und Leute, die sich im Dritten Reich nichts hatten zu Schulden kommen lassen und eine Unbedenklichkeitsbescheinigung, den sogenannten Persilschein, hatten. Oft fehlte jedoch Fachpersonal, beispielsweise im Bereich Technik. Hier musste man auf Leute zurückgreifen, die auch schon in der NS-Zeit für den Rundfunk gearbeitet hatten.

Andere Mitarbeiter, die schon seit den 1920er Jahren durchgehend für den Rundfunk in Köln arbeiten, waren etwa der Sprecher Rudi Rauher, der mit seiner Unterhaltungssendung im Dritten Reich eine Art Starcharakter erlangte, sowie Dr. Bernhard Ernst, der schon im Reichssender Köln ein bekannter Reporter war und in der ersten Sendung aus Köln nach dem Krieg auch mit einer Ansprache an die Hörer zu Wort kam.

Die Widerstandskämpfer Max Burghardt und Karl-Eduard Schnitzler wurden jedoch bald entlassen.

Witting-Nöthen: Das ist richtig. Max Burghardt war Intendant und Karl-Eduard Schnitzler war Leiter der Abteilung Politisches Wort. Beide zeichneten sich durch ihre antifaschistische Haltung aus. Daher wurden sie von den Briten gerne für den Rundfunk rekrutiert. Da sie allerdings aus ihrer kommunistischen Überzeugung keinen Hehl machten, wurden sie 1947 mit Zunahme des Kalten Krieges bereits wieder entlassen.

Ab 26. September 1945 wurde aus Köln wieder gesendet, obwohl das zerstörte Funkhaus in der Dagobertstraße noch nicht wieder aufgebaut war.

Witting-Nöthen: Es gab nur ein einziges Studio und einen Hilfssender, über den man auf Mittelwelle senden konnte. Der Wiederaufbau zog sich über mehrere Jahre hin, blieb jedoch ein Provisorium, und das führte 1948 beim Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) in Hamburg zu der Entscheidung, ein neues Funkhaus zu bauen, das es ja bis heute gibt: das Funkhaus am Wallrafplatz.

Kann man sich die erste Sendung aus Köln nach dem Zweiten Weltkrieg heute noch anhören?

Witting-Nöthen: Nein. Bandmaterial war Mangelware. Vieles wurde live gesendet, um zu sparen, Aufzeichnungen wurden schnell wieder überspielt. Aber dank der Sendeprotokolle können wir die meisten Sendungen ziemlich genau rekonstruieren.

Was also wurde am 26. September 1945 aus Köln gesendet?

Witting-Nöthen: Man startete um 18.57 Uhr mit dem Pausenzeichen: ein Thema aus Mozarts "Zauberflöte": "Es klinget so herrlich", eine kurze Tonfolge auf der sog. Celesta, einem speziellen Glockenspiel. Danach wurde die Fanfare "Ich habe mich ergeben" eingespielt.

"Hier ist der Nordwestdeutsche Rundfunk"

Aus Hamburg gab es die Vorgabe, sich ab sofort so zu melden: "Hier ist der Nordwestdeutsche Rundfunk". Übertragen wurden Ansprachen der Oberpräsidenten der Rheinprovinz sowie der Provinz Westfalen, Fuchs und Amelunxen, anlässlich der Wiedereröffnung des Kölner Senders. Schon ab Oktober wurden auch Aufführungen des Kölner Millowitsch-Theaters gesendet, später gab es Gottesdienste, Frauen- und den für die Reeducation wichtigen Schulfunk sowie politische Sendereihen, die der Demokratisierung und Umerziehung galten.

Allerdings muss man wissen, dass es vorerst nur eine Stunde Programm aus Köln gab, und zwar von 19.00 bis 20.00 Uhr. Zur übrigen Zeit zwischen 6.00 und 23.00 Uhr übernahm man das Programm aus Hamburg.

Köln und Hamburg: kein entspanntes Verhältnis

Nur eine Stunde tägliche Sendezeit aus Köln? Das führte doch sicher zu Konflikten mit der Leitung des Nordwestdeutschen Rundfunks in Hamburg, zu dem Köln damals gehörte.

Witting-Nöthen: Ja, es gab von Anfang an erhebliche Konflikte - auch, weil viele Inhalte von Hamburg genehmigt werden mussten. Das führte den Kölnern immer vor Augen, dass sie nicht selbstständig waren. Eine Ursache für die knappe tägliche Sendezeit von einer Stunde war: Es gab zunächst nur eine Welle, auf der gesendet wurde, die Mittelwelle. Auf dieser machte der Großsender Hamburg Programm für Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Berlin, anfangs auch für Mecklenburg-Vorpommern und eben auch für das Rheinland und Westfalen und sollte die Interessen aller berücksichtigen - das war gar nicht zu schaffen!

Regelmäßige Konflikte gab es zum Beispiel, wenn die Kölner darauf bestanden ihre Karnevalssendungen zu machen, was die Hamburger und auch die Berliner gar nicht verstehen konnten (lacht).

War die Konsequenz daraus die Entstehung von WDR und NDR?

Witting-Nöthen: Zunächst brachte die Einführung der Ultrakurzwelle 1950 eine leichte Entspannung, weil nun jede Region eine solche zugewiesen bekam.

Kölner "Welle der Freude" über UKW

Die Kölner hatten dann die sogenannte "Welle der Freude", auf der die Regionalsendungen liefen. Aber der Konflikt blieb und hatte ja auch eine politische Komponente, denn Rheinland und Westfalen wollten wieder einen eigenen selbstständigen Sender haben.

Das führte schließlich zur Aufspaltung des NWDR in WDR und NDR und zur Gründung des Westdeutschen Rundfunks zum 1. Januar 1956. Die gemeinsame Mittelwelle von NDR und WDR (später im WDR 1 über UKW) wurde übrigens noch lange bis 1986 bedient und hieß auch immer noch "Erstes Programm".