Wegen Corona: "Mitternachtsspitzen" aus Kölner Innenhof

Stand: 30.04.2020, 14:42 Uhr

  • Besondere "Mitternachtsspitzen"-Ausgabe in Zeiten von Corona
  • WDR Kabarettsendung aus Innenhof in Köln-Nippes
  • Bewohner*innen als Zuschauer auf Balkon und am Fenster
  • Exklusive Einblicke in die Ausnahmeproduktion

Von Katrin Pokahr

"Ich habe für heute Chips gekauft", erzählt Frida. Die Achtjährige steht auf ihrer Terrasse auf einem Tisch. So kann sie alles sehen, was am Dienstag (28.04.2020) in dem Hof passiert, wo sie sonst mit ihren Freunden spielt. Überall sind Scheinwerfer aufgebaut, Kabel schlängeln sich an Sträuchern vorbei. Am Ende des von Mehrfamilienhäusern umgebenen Innenhofes steht seit Montag eine große WDR Bühne.

Wird das Wetter mitspielen?

Klaus Michael Heinz, Redakteur der WDR Kabarettsendung "Mitternachtsspitzen", steht mitten im Nippeser "Clouth Quartier" und blickt auf sein Handy. Dann wieder zum Himmel. Wird das Wetter halten? "Bei der Stellprobe mit Wilfried Schmickler mussten wir heute Nachmittag eine Dreiviertelstunde Pause machen, weil es geregnet hat", berichtet er.

Nach der wochenlangen Schönwetterperiode ist ausgerechnet für die Aufzeichnung am Dienstag (28.04.2020) Regen angesagt. Und das ist nur eine von vielen Herausforderungen, vor denen das Team der "Mitternachtsspitzen" steht.

Publikum: Bewohner*innen auf Balkon und am Fenster

"Kabarett braucht Publikum, das angesprochen wird und reagiert", bringt Heinz es auf den Punkt. Und hier setzt die Idee des Chefautors Dietmar Jacobs an: "Da wir aufgrund der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie unser Publikum nicht wie sonst im Wartesaal empfangen können, gehen wir eben zum Publikum." Das kann auf Distanz bleiben und erlebt die Sendung von seinen privaten Balkonen aus, von Fenstern und Terrassen.

Der Ort, den man nach einigem Suchen fand, liegt in einem Neubaugebiet in Köln-Nippes: ein begrünter Hof, mit Spielplatz und Rasenfläche in der Mitte. Rund 200 Einverständniserklärungen holte Produktionsleiter Dirk Piepenbring ein. Alle Anwohner waren bereit mitzumachen, dennoch hatte das Team die Sorge: "Werden sie alle zuschauen und klatschen – auch, wenn es regnet?"

Kommentare und Applaus vom Balkon

18.37 Uhr, Durchlaufprobe. Wieder tröpfelt es. Jürgen Becker macht seine Ansage auf der Bühne. Von den umliegenden Balkonen ist vereinzelter Applaus zu hören. Um keine Pointen vorwegzunehmen, spielen die Künstler*innen ihre Nummern nur kurz an. Am Ende dann die Durchsage der Aufnahmeleitung: eine Stunde Pause für Essen, Vorbereitung und die Maske. "Okay, wir schminken uns!", ruft eine Frau von ihrem Balkon; das Publikum fühlt sich schon als Part des TV-Teams.

Ausnahmeproduktion birgt viele Herausforderungen

Um im engen Innenhof die nötigen Abstandsregeln einhalten zu können, musste das Produktionsteam verkleinert werden, einige Kolleg*innen nehmen ausnahmsweise eine Doppelfunktion wahr. Produktionsleiter Dirk Piepenbring beispielsweise übernimmt für diese besondere Produktion ausnahmsweise auch Aufgaben der Aufnahmeleitung. Um die Einschränkungen für alle Beteiligten in Grenzen zu halten, so Piepenbring, finden alle Proben und die Aufzeichnung an nur einem Tag statt - eine Herausforderung für alle. Schon mal eine so verrückte Produktion gehabt? "Noch nie!", sagt der WDR-Profi.

WDR Sendung aus dem "schönsten Innenhof Kölns"

Die Bewohner erscheinen auf Balkonen und Terrassen. Fridas Mutter Pia stellt Weingläser auf den Tisch. Am Ende soll gemeinsam gesungen werden. Von einem Zettel, den das Fernsehteam verteilt hat, liest Frida den Liedtext vor – gar nicht so leicht, denn es ist kölsch…

Und dann geht es los. Die Wolkendecke ist aufgerissen, und Moderator Jürgen Becker begrüßt das Publikum "im schönsten Innenhof von Köln". Scheinwerfer strahlen die Häuser in buntem Licht an. An offenen Fenstern, auf sämtlichen Balkonen und Terrassen haben sich Erwachsene und Kinder eingefunden. Sie sitzen gemütlich an Tischen oder lehnen an Balkongeländern, prosten sich zu, applaudieren und jubeln.

Am Thema "Corona" kommt nicht nur die Produktion, sondern auch die Sendung nicht vorbei. Jürgen Becker hat einen neuartigen Mundschutz erfunden. Susanne Pätzold fragt als Krankenschwester, ob knappes Krankenhauspersonal nun teurer wird – wie knappe Masken. Mitwirkende sind auch Urban Priol, Philip Simon und Johann König, der in Nippes wohnt, wohl die kürzeste Anreise hatte und aktuell verzweifelt versucht ruhig zu bleiben, jetzt, wo "meine Kinder endlich mal richtig Zeit für mich haben".

Schmicklers Balkonszene im sexy Nachthemd

Auch eine Balkonszene darf in so einem Setting nicht fehlen. Aus dem ersten Stock schmachtet eine Julia, gespielt von einem blond gelockten Wilfried Schmickler im sexy Nachthemd, herab zu ihrem Romeo alias Uwe Lyko.

Das Publikum im "Clouth Quartier" begleitet jeden Auftritt mit viel Applaus. Als Hauptkommissar Pütz reicht Jürgen Becker mit Hilfe eines langen Stabes einen Kölsch-Kranz auf eine Terrasse hinüber. Die Hausbewohner befestigen den Kranz an einem Seil und ziehen ihn bis in den dritten Stock. "Prost!"

Großes Finale mit viel Gefühl

Am Ende versammelt Jürgen Becker seine Gäste auf der Bühne zum Abschlusslied. Da wird es trotz des gebotenen Abstands zueinander ganz heimelig. Beim Refrain fällt das ganze Publikum mit ein, die Handys leuchten – und wer mehr zum Finale mit viel Gefühl erfahren will, der kann die Sendung hier nachschauen:

Die brillante "Jacobs-Lösung" hat funktioniert

"Das war ein ganz besonderer Abend!", schwärmt Redakteur Heinz. Jürgen Becker ist nicht weniger begeistert, denn es sei gelungen, die besondere Atmosphäre der "Mitternachtsspitzen" wiederherzustellen: "Das haben wir vermisst: vor einem Publikum zu spielen, das einem eine Resonanz gibt." Die Idee von Autor Dietmar Jacobs will er künftig nur noch die "Jacobs-Lösung" nennen: "Eine brillante Möglichkeit, in der aktuellen Situation Fernsehen vor Publikum zu machen! Und der WDR setzt es als erster Sender um"

Fridas Fazit

Auch der mit dem Abbau einsetzende Regen kann die Freude nicht trüben. Frida hat bis zum Ende durchgehalten. Die Witze habe sie nicht alle verstanden, sagt sie, aber die Chips-Tüte hat sie zur Hälfte geschafft. "Natürlich schauen wir uns die Sendung am Samstag im Fernsehen an", verspricht ihre Mutter. Verwandten und Freunden habe sie diese besonderen "Mitternachtsspitzen" auch ans Herz gelegt. Und die Nachbarn wissen ja schon Bescheid.