"Einen Journalisten umzubringen, war relativ günstig“ – Doku zur Slowakei
Stand: 03.05.2023, 12:15 Uhr
Anlässlich des Internationalen Tags der Pressefreiheit am 3. Mai zeigt das WDR Fernsehen die Doku "Tödliche Recherchen – Der Mord an Ján Kuciak". Der slowakische Journalist und seine Verlobte wurden 2018 ermordet. Ján Kuciak recherchierte zu Verbindungen einflussreicher Geschäftsmänner mit der Politik.
Was sind die bedeutendsten Erkenntnisse aus Ihrem Dokumentarfilm?
Der Film beschäftigt sich mit der Korruption in der Slowakei der 2000er Jahre, welche 2018 im Doppelmord an Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová gipfelte. Die Protagonistin des Filmes ist die Journalistin Pavla Holcova, der rund eineinhalb Jahre nach der Tat die Mordakte zugespielt wurde. Diese enthielt brisante Erkenntnisse, dass der Oligarch und mutmaßliche Drahtzieher des Auftragsmordes Márian Kočner mit Mitgliedern der Justiz und Politik eng vernetzt war. Das ganze Land war sozusagen der Korruption verfallen. Der Film begleitet Holcova auf den Spuren der Recherchen von Kuciak.
Wie war es möglich, dass ein solches Netzwerk so lange unerkannt blieb?
Es blieb nicht unerkannt. Es gab viele Journalist:innen und Aktivist:innen, die seit Jahren gesagt haben: Wir sind ein korrupter Staat, in dem Unternehmer:innen mit der Politik zusammenarbeiten. Das Problem war aber, dass nie etwas bewiesen werden konnte. Wenn die Institutionen eines Staates so korrupt sind, finden sie Wege, die Wahrheit unter Verschluss zu halten.
Was macht den Fall von Ján Kuciak so besonders?
Das Spezialgebiet von Ján Kuciak war Steuerbetrug und Finanzkriminalität. Sein Hauptverdächtiger war Márian Kočner, der als Drahtzieher des Mordes derzeit angeklagt ist. Er und andere Geschäftsleute sind seit Jahren ungestraft davon gekommen, weil sie die Justiz und Polizei auf ihrer Seite hatten. Wohl deshalb hatten sie nicht damit gerechnet, dass der Fall gelöst werden könnte. Ein interessantes Detail ist, dass der ursprüngliche Plan angeblich vorsah, nur Ján zu entführen, ihn umzubringen und im Wald zu begraben.
Was ist das Erbe von Ján Kuciak?
Viele Menschen in der Slowakei sind jetzt desillusioniert. Der frühere Ministerpräsident Robert Fico, der durch die Untersuchungen im Nachgang der Morde zurücktrat, führt derzeit in den Umfragen für die Wahlen im September. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Fico wieder an die Macht kommt, was für viele Menschen in der Slowakei sehr entmutigend ist. Sie selbst werden das Erbe von Ján Kuciak in Frage stellen. Ich würde sagen, dass Ján der Slowakei eine Chance gab, wie auch immer das Land sich entscheiden wird. Das ist das Tragische: Der Mord an ihm zeigte, wie betrügerisch dieses System bis ins Mark war, und er musste dafür mit seinem Leben zahlen. Aber er hat die Wahrheit aufgedeckt.
Was hat Sie bei der Recherche zum Fall am meisten überrascht?
Ich war schockiert, wie tief die Korruption reichte. Bevor ich diesen Dokumentarfilm drehte, sah ich die Slowakei wie wahrscheinlich viele Menschen. Sie war eher bekannt als wirtschaftlicher Erfolg und nicht als korrupt. Als Problemkinder der EU gelten da eher osteuropäische Länder wie Rumänien oder Bulgarien. Dazu war die Korruption nicht wirklich raffiniert, sondern sehr altmodisch. Wenn es zum Beispiel um die Bestechung bei Gerichten geht, hatten wir Summen von mehreren hunderttausend Dollar erwartet. Die Chats zeigen aber, dass es viel weniger war. Aber auch der Mord selbst. Einen Journalisten umzubringen, war relativ günstig.
Sind Sie selbst auch in brenzlige Situationen durch die Recherchen zum Film gekommen?
Es gab Reporterinnen und Reporter, die sich wirklich in Gefahr gebracht haben. Pavla Holcova, die Protagonistin des Dokumentarfilms, wurde nach den Morden unter Polizeischutz gestellt. Es gab Befürchtungen, dass sie das nächste Ziel sein könnte. Ein anderer Journalist namens Peter Sabo erhielt eine Patrone in seinem Briefkasten. Beweise, dass dies direkt mit dem Fall zusammenhängt, gibt es aber nicht. Natürlich wird man dadurch etwas paranoid, aber ich selbst habe keine Drohungen erhalten und befand mich in keinen gefährlichen Situationen.
Der Dokumentarfilm ist am internationalen Tag der Pressefreiheit im WDR Fernsehen zu sehen. Wieso ist ein solcher Tag in Ländern wie Deutschland auch heute noch nötig
Es geht um eine größere Frage. Der Journalismus wird in einem Ausmaß bedroht, wie noch nie zu meinen Lebzeiten. Auch aus der Politik. In den USA bezeichnete Trump die Presse als Feind der Menschen, ähnliches sahen wir in Brasilien mit Bolsonaro, und es gibt illiberale Demokratien wie Ungarn unter Orban. Wenn Journalist:innen attackiert werden und die Pressefreiheit nicht respektiert wird, dann kann das zu einer Lage führen, in der sie umgebracht werden. In der EU wird den Drahtziehern bei solchen Fällen zumindest der Prozess gemacht. Aber in Ländern wie Russland oder Mexiko, wo Rechtstaatlichkeit nicht in dem Ausmaß vorhanden ist, kommen diese Menschen mit den Morden davon. Ich glaube, dass die Freiheit der Presse Teil des Kampfes für die Demokratie ist.
TÖDLICHE RECHERCHEN (KILLING OF A JOURNALIST) ist eine Produktion von Final Cut for Real in Koproduktion mit dem WDR in Zusammenarbeit mit ARTE.
Ein Dokumentarfilm von Matt Sarnecki
Dänemark/Deutschland 2022, 90 Minuten
WDR Fernsehen, Mittwoch, 03. Mai 2023, 23.00 bis 0.30 Uhr