Ranga Yogeshwar (3.v.l.) mit Kindern bei einem Workshop zu Künstlicher Intelligenz.

Digital Future

Stand: 08.04.2019, 11:54 Uhr

Seit Ende des vergangenen Jahres recherchiert und dreht Ranga Yogeshwar zusammen mit Koautor Tilman Wolff für die Dokumentation "Der große Umbruch – Wie künstliche Intelligenz unser Leben verändert". Christine Schilha sprach mit dem Wissenschaftsjournalisten während eines kurzen Zwischenstopps in der Heimat.

Herr Yogeshwar, Sie kommen aus Australien und sind auf dem Sprung nach China. Wie kommen Sie mit dem Jetlag klar?

Ranga Yogeshwar: [lacht] Seit zwei Monaten sind meine Organe immer in der falschen Zeit, das ist nicht immer leicht. Aber gut, das gehört bei einem so breiten Thema dazu. Vielleicht sollte ich aber die nächste Doku über etwas machen, das an einem Ort stattfindet.

Sie beschäftigen sich schon seit längerem mit den Chancen und Risiken von Künstlicher Intelligenz. Was zeichnet KI aus?

Yogeshwar: Der Begriff wird sehr weit verwendet, aber nicht überall, wo Intelligenz draufsteht, ist auch Intelligenz drin. Heute werden einem sogar Waschmaschinen als „intelligent“ verkauft, die in Wirklichkeit saudumm sind. Man kann es vielleicht so verdichten: Seit ein paar Jahren ist man Dank schneller Computer in der Lage, die vernetzte Struktur unserer Gehirnzellen mit mathematischen Modellen zu simulieren. Man spricht von digitalen neuronalen Netzen, und diese sind, wie wir Menschen, lernfähig. Durch Training schaffen sie es, unterschiedliche Handschriften, Verkehrsschilder, Autokennzeichen oder verschiedene Elemente innerhalb eines Bildes zu erkennen. Bei der Bilderkennung sind diese Systeme inzwischen so leistungsfähig, dass sie bei manchen Anwendungen sogar besser sind als wir Menschen. Es gibt KI-Systeme, die Parkinson, Krebs oder Depressionen sogar früher erkennen als ein Arzt.

Wir waren zum Beispiel an der Stanford University in Kalifornien und der Aston University Birmingham, wo Wissenschaftler genau solche Systeme programmiert haben. Man macht etwa mit dem Handy ein Bild einer Röntgenaufnahme und bekommt fünf Sekunden später eine genaue Diagnose. Gerade dort, wo Fachärztemangel herrscht, öffnet sich eine großartige Chance. Natürlich wird der Arzt nicht komplett ersetzt, doch mit solchen Hilfsmitteln verbessert sich zum Beispiel die Früherkennung.

In Science Fiction wird oft die Dystopie einer Welt entworfen, in der die Maschinen die Menschen beherrschen. Besteht diese Gefahr?

Yogeshwar: Die außergewöhnlichen Fähigkeiten der KI beschränken sich zunächst auf die digitale Welt: Maschinen können Menschen im Schach besiegen, sind aber bislang nicht in der Lage, das Schachspiel aus dem Regal zu holen und aufzubauen. Bei meinen Reisen war es faszinierend zu sehen, was auf der einen Seite alles mit KI möglich ist, und auf der anderen Seite zu erkennen, wo wir Menschen genial und nicht zu überholen sind. Sertac Karaman, einer der führenden Fachleute im Bereich autonomes Fahren am Massachusetts Institute of Technology – kurz MIT – in Boston, erklärte es so: Wir Menschen können schon am Gesichtsausdruck eines Fußgängers erkennen, ob dieser die Straße überqueren möchte oder nicht. Wenn ein Ball auf die Fahrbahn rollt, dann ahnen wir, dass wahrscheinlich ein Kind folgen wird. Dieses Bauchgefühl fehlt jedoch der Maschine und ist extrem schwer zu programmieren.

Zu welchen Hotspots der KI-Forschung sind Sie noch gereist?

Yogeshwar: Neben den USA, Großbritannien, Australien und China haben wir uns auch in Deutschland umgesehen. Wir waren zum Beispiel bei einem der weltweit führenden Roboterhersteller in Augsburg, und natürlich haben wir auch die Forschungszentren der Autoindustrie besucht.

Wurden Sie überall mit offenen Armen empfangen?

Yogeshwar: Man kommt nicht immer einfach in Labors rein, da muss man eine Menge dicker Bretter bohren und Überzeugungsarbeit leisten. Teilweise haben mir da meine guten Kontakte in die Wissenschaft geholfen, und wir konnten uns spannende Entwicklungen ansehen. Selbst in China hat man uns manche Tür geöffnet. Bei Google hingegen war das wirklich zäh. Bei einem so relevanten Unternehmen finde ich ein solches Verhalten auch unter demokratischen Gesichtspunkten fragwürdig. Google zählt, für manche wahrscheinlich überraschend, zu den aktivsten Lobbyisten bei der EU. Der Konzern hat in den vergangenen Jahren über 200 Meetings mit EU-Politikern gehabt. Doch der Internetriese ist offenbar eher reserviert, wenn wir Journalisten kritische Fragen stellen.

Welche Geschichte hat Sie besonders erstaunt?

Yogeshwar: Die von Prof. Hugh Herr. Als Jugendlicher war er ein talentierter Extrembergsteiger, doch im Alter von 17 Jahren geriet er während einer Bergtour in einen Schneesturm. Erst nach Tagen wurde er mit schweren Erfrierungen geborgen. Man musste ihm beide Beine amputieren. Hugh studierte Maschinenbau und Biophysik und begann damit, intelligente Prothesen zu entwickeln. Inzwischen geht, joggt und klettert er und sagt von sich selbst: "Ich bin nicht behindert!" Er formulierte es wie folgt: "Inzwischen wird mein Körper immer älter, wohingegen meine Beine immer jünger werden; die kriegen nämlich alle drei Wochen ein Update!"

Heute bekommen viele ältere Menschen ein künstliches Hüftgelenk, doch wenn man diese Entwicklung konsequent weiterdenkt, dann werden irgendwann alte Menschen, deren Beine nicht mehr mitmachen, mit intelligenten Prothesen ausgestattet. Das kann man schauerlich finden oder großartig.

Wer forscht hauptsächlich auf dem Gebiet der KI? Private Unternehmen oder wissenschaftliche Einrichtungen?

Yogeshwar: Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen. In den USA findet ein Großteil der Forschung bei großen Firmen oder Startups statt und ist an irgendein Business-Modell gekoppelt.

Auch einschlägige Universitäten wie Stanford oder MIT leisten Bahnbrechendes. Die Forschungs-Etats in den USA sind gigantisch. In China hat die KI-Forschung ebenfalls einen hohen Stellenwert, denn das Land hat sich auf die Fahnen geschrieben, der weltgrößte Player in Sachen KI zu werden. In Deutschland hingegen gibt es zwar Spitzenforscher, doch im internationalen Vergleich wird die Entwicklung nicht konsequent vorangetrieben.

Hat Deutschland das Wettrennen um KI verloren?

Yogeshwar: Noch haben wir eine Chance aufzuholen, doch hierfür braucht es ein europäisches Bewusstsein. Gerade beim Thema KI gibt es ein hartes Wettrennen zwischen den USA und China. An manchen Stellen spürt man bereits die Schärfe des Konflikts, so zum Beispiel aktuell bei dem chinesischen Unternehmen Huawei im Zusammenhang mit den künftigen 5G-Mobilfunknetzen. Hier wird gerne behauptet, dass die chinesische Technik unsere Daten abhört. Wenn man jedoch ehrlich ist, so gilt das leider auch für viele US-Unternehmen, denn auch hier sind unsere Daten nicht wirklich geschützt. Dennoch werden deutsche Polizeivideos beim US-Hersteller Amazon gespeichert. Das zeigt mir, wie wichtig eine unabhängige europäische Infrastruktur wäre. Zudem sollten wir noch intensiver mit allen Nationen zusammenarbeiten, denn je vernetzter die Welt ist, umso geringer ist die Gefahr von Blockbildung und Konflikten.

KI kann uns in der Medizin von großem Nutzen sein. Und wo kann sie uns schaden?

Yogeshwar: Eine Schattenseite der KI sind zum Beispiel intelligente Algorithmen, die den Informationsfluss innerhalb von sozialen Medien steuern. Sie führen dazu, dass sich auch verstärkt Fake News ausbreiten. Das hat schlimme Konsequenzen: Impfgegner nutzen die Plattformen, und in Japan fiel durch Falschmeldungen die Quote der HPV-Impfung von 80 auf unter ein Prozent. Man rechnet damit, dass in den nächsten Jahrzehnten jährlich etwa 3000 Frauen an Gebärmutterhalskrebs sterben werden, weil sie nicht geimpft sind.

Was können wir und was muss die Politik tun, damit KI nicht zum Fluch wird?

Yogeshwar: Es ist wichtig, dass wir als Gesellschaft auch über die ethischen Aspekte dieser Entwicklung reden. Wir brauchen bei allen Chancen auch dringend neue Normen und Regeln. Mit unserer Dokumentation wollen wir ein Bewusstsein für die Relevanz dieses Themas schaffen.

Wenn immer mehr Arbeiten von Maschinen übernommen werden: Wie wird das unsere Gesellschaft verändern?

Yogeshwar: Neue Technologien haben seit jeher unsere Arbeitswelt verändert. Bestimmte Jobs werden wegfallen, neue werden entstehen. Heute arbeiten wir nur noch halb so viel wie vor hundert Jahren. Die spannende Frage ist: Schaffen wir es, den großen Umbruch so zu gestalten, dass er nicht zur Spaltung der Gesellschaft führt? Dass nicht einige wenige immer reicher werden, während die Mehrheit zu den Verlierern zählt? Die heutigen Entwicklungen geben uns die Chance, vieles zu verbessern, doch wir dürfen das destabilisierende Potenzial nicht unterschätzen. Es liegt an uns allen darüber zu entscheiden, in welcher Gesellschaft wir leben wollen.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Tilman Wolff?

Yogeshwar: Tilman ist ein toller und erfahrener Kollege. Wir agieren bei „Der große Umbruch“ beide als Autoren und haben zudem bewusst sehr schlank produziert. Wir reisen nur zu dritt zusammen mit dem Kameramann Jan Kreutz, mit dem ich bereits in der Vergangenheit viel gearbeitet habe. Bei kleinen Teams fühlt sich jeder verantwortlich und jeder packt mit an. Trotz sehr viel Arbeit ist die Stimmung im Team großartig. Unsere Redakteurin Monika Grebe, die das Projekt im WDR betreut, bringt dabei ebenfalls wichtige Perspektiven und Gedanken ein. Ich kann nur sagen: small is beautiful!

Das Erste hat die Dokumentation innerhalb eines Schwerpunkts zum Thema Künstliche Intelligenz am 8. April von 22.45 bis 23.15 Uhr gesendet. Das WDR Fernsehen zeigt einen zweiten Film von Tilman Wolff und Ranga Yogeshwar zu KI am 7. Mai von 21 bis 21.45 Uhr. Er ist Teil eines crossmedialen KI-Schwerpunkts im WDR, an dem unter anderem der Radiosender WDR 5 beteiligt ist.