Interview mit den Machern von "The Cleaners": Der Preis der Sauberkeit

Stand: 17.05.2018, 12:04 Uhr

"The Cleaners" ist das Filmdebüt von Moritz Riesewieck und Hans Block, beide Jahrgang 1985. Seit 2007 arbeiten die Theaterregisseure zusammen in der Künstlergruppe "Laokoon". Der Name, von griech. laós (Krieger) und koeo (schauen), geht auf den trojanischen Priester zurück, der der Legende nach als einziger die Gefahr erkannte, die das hölzerne Pferd in sich barg. Die Gruppe entwickelte nach ausgiebigen Recherchen auf den Philippinen am Theater Dortmund das Stück "Nach Manila" und thematisierte darin bereits die Arbeit der "Cleaners". 2017 erschien außerdem Riesewiecks Buch "Digitale Drecksarbeit: Wie uns Facebook und Co. von dem Bösen erlösen". Christine Schilha sprach mit Block und Riesewieck über ihre Recherchen und die Arbeit am Film.

"The Cleaners" ist das Filmdebüt von Moritz Riesewieck und Hans Block, beide Jahrgang 1985. Seit 2007 arbeiten die Theaterregisseure zusammen in der Künstlergruppe "Laokoon". Der Name, von griech. laós (Krieger) und koeo (schauen), geht auf den trojanischen Priester zurück, der der Legende nach als einziger die Gefahr erkannte, die das hölzerne Pferd in sich barg. Die Gruppe entwickelte nach ausgiebigen Recherchen auf den Philippinen am Theater Dortmund das Stück "Nach Manila" und thematisierte darin bereits die Arbeit der "Cleaners". 2017 erschien außerdem Riesewiecks Buch "Digitale Drecksarbeit: Wie uns Facebook und Co. von dem Bösen erlösen". Christine Schilha sprach mit Block und Riesewieck über ihre Recherchen und die Arbeit am Film.

Was hat Sie bewogen, sich mit diesem Thema zu beschäftigen?

Moritz Riesewieck: Die sozialen Medien entwickeln sich in rasanter Geschwindigkeit zur digitalen Öffentlichkeit. Hier werden politische Konflikte ausgetragen, in Echtzeit Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, Kunst und Satire verbreitet und soziale Bewegungen organisiert. Andererseits schafft das Medium noch nie da gewesene Probleme, denn wer oder was hier nicht vorkommt, ist schlichtweg nicht existent. Wer also entscheidet darüber, was wir sehen und was nicht? Dieser Frage sind wir nachgegangen. Dabei sind wir auf einen schockierenden Fall aufmerksam geworden: In der Nacht vom 21. auf den 22. März 2013 fanden tausende User weltweit in ihrem Newsfeed bei Facebook das Video eines kleinen Mädchens, das von einem älteren Mann vergewaltigt wird. Bis das Video entfernt wurde, war es 16.000 Mal geteilt und 4.000 Mal geliked worden. Wie konnte das passieren? Wer ist dafür verantwortlich? Wer oder was sorgt für die "Sauberkeit" innerhalb der sozialen Netzwerke? Eine Bilderkennungssoftware? Ein Algorithmus? Künstliche Intelligenz? Dass hinter diesen Entscheidungen tausende Arbeiterinnen und Arbeiter stecken, die in Entwicklungsländern hinter verschlossen Türen diesen Dienst für einen Billiglohn ausführen, hat uns erstmalig die US-amerikanische Medienwissenschaftlerin Sarah T. Roberts berichtet. Wir wollten die Geschichten dieser Menschen einfangen, über sie ihre Arbeit verstehen. Das war der Ausgangspunkt für unsere langjährige Recherche.

Wie haben Sie den Kontakt zu den Content Moderators hergestellt?

Hans Block: Diesen Zugang zu bekommen, war der schwierigste und aufreibendste Prozess während der Arbeit an dem Film. Die Dienstleistungsunternehmen in Manila halten ihre Angestellten mit Codewörtern, Einschüchterungen und Repressalien vom Sprechen über ihre Auftraggeber ab. Die Recherchearbeit glich der eines Detektivs. Beispielsweise haben wir die Jobbeschreibungen von hunderten Outsourcing-Unternehmen in Manila studiert, um herauszufinden, ob die Arbeit hier gemacht wird. Doch keine Beschreibung verriet, um welche Arbeit es sich konkret handelt. Ein Meilenstein war es schließlich, das Codewort zu knacken, das Facebook benutzt, um die Löscharbeit zu verschleiern. Kein Mitarbeiter darf je sagen, dass er für Facebook arbeitet, sondern muss stets sagen: "Ich arbeite für das Honey Badger Project." Viele solch kleiner Details haben uns geholfen, Stück für Stück Zugang zu dieser Schattenwelt zu bekommen.

Man sieht im Film die Gesichter einiger Content Moderators – müssen sie jetzt um ihren Job fürchten?

Block: Diese Arbeiterinnen und Arbeiter hatten zum Zeitpunkt des Drehs den Job verlassen oder hatten den Entschluss gefasst, es zu tun. Bei einer Protagonistin haben wir uns entschlossen, ihre Identität nicht zu verraten. Wir haben daher mit dem Mittel der Verfremdung gearbeitet und nur Teile ihres Gesichts abgebildet. Gespräche mit Menschen, die weiter als Content Moderators arbeiten, haben wir als Chat-Protokolle in den Film integriert. Wir haben viele Content Moderators über einen längeren Zeitraum kennengelernt und bewusst nur die in unseren Film integriert, bei denen wir uns sicher waren, dass sie sich der Tragweite bewusst sind. Wir sind mit allen weiterhin in Kontakt.

Wird diese Arbeit auf die Philippinen ausgelagert, weil man dort ein christliches Weltbild zum Billiglohn bekommt?

Riesewieck: Die Unternehmen schwärmen in Promo-Videos von den Philippinen als Outsourcing-Standort, weil die Menschen dort dank Hunderten von Jahren spanischer und dann US-amerikanischer Kolonisation "unsere westlichen Werte, unseren moralischen Kodex teilen". Kolonisation als Standortvorteil. Tatsächlich sind viele Philippinas und Philippinos sehr gläubig, und der Kampf gegen das Böse ist für sie eine christliche Mission. Die Unternehmen missbrauchen ihre Bereitschaft, es Jesus Christus gleichzutun, die Sünden der Welt auf sich zu nehmen und dafür ihr eigenes Seelenheil zu opfern.

Sie haben in einem Interview die Gespräche mit den Content Moderators mit einer Therapie verglichen. Können Sie das erläutern?

Riesewieck: Die Symptome, die aus dem Sichten schrecklicher Fotos und Videos resultieren, gleichen in vielen Fällen denen von Soldaten nach Kriegseinsätzen: Bilder, die im Alltag ungewollt wieder auftauchen, Essstörungen, Libidoverlust, Depressionen und in manchen Fällen sogar der Suizid. Gegen Traumata hilft, das Gesehene zu verbalisieren. Das aber ist den Content Moderators per Vertrag untersagt. Für viele von ihnen waren unsere Gespräche die erste Gelegenheit, sich mit dem Gesehenen auseinanderzusetzen. Philippinische und deutsche Psychologen haben uns geholfen, damit umzugehen. Natürlich konnten unsere Interviews keine professionelle Therapie ersetzen. Wir haben unseren Protagonisten angeboten, eine Therapie bei einer auf Traumata spezialisierten Psychologin in Manila zu beginnen.

Block: Auch das ist Teil der Billiglohn-Realität: Keines der Dienstleistungsunternehmen bietet den Angestellten eine angemessene psychologische Hilfe an. Vielleicht schafft es unser Film, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, zu welchem menschlichen Preis wir die Sauberkeit im Netz erkaufen.

Das Interview führte Christine Schilha für WDR print.