Petra Wagner
Meine Stadt Wuppertal
Hätten Sie es gewusst? Wuppertal ist eine Hochburg des Argentinischen Tangos und Fernsehredakteurin Petra Wagner nimmt uns auf ihrem Tagesausflug mit in ihre Tanzschule. Doch zunächst lernen wir Bürger kennen, die sich durch das leere Stadtsäckel nicht abschrecken lassen und sich für Wuppertal und die Wupper engagieren.
Drüben, einmal über die Wupper, flattern lilafarbene Fahnen mit dem Porträt von Friedrich Engels. Der Revolutionär kann nur den Kopf schütteln über Merkwürdigkeiten des Finanzsystems – gerade hat der Stadtkämmerer über Wuppertal eine Haushaltssperre verhängen müssen.
Grund: Ein wichtiger Gewerbesteuerzahler bricht weg, weil das längst ins Ausland verkaufte Unternehmen zwar im Tal ordentliche Gewinne einfährt, diese aber mit anderswo erwirtschafteten Verlusten gegenrechnen kann.
Ok, wieder ein Rückschlag für die bergische Großstadt, die sich seit Jahren tapfer aufstellt gegen sinkende Einnahmen. Aber unterkriegen lassen wird man sich hier im Städtedreieck zwischen Remscheid und Solingen nicht. Überall gibt es Initiativen, die sich mit Enthusiasmus gegen Resignation und Rückzug stemmen.
Auf zu neuen Ufern
Auf der anderen Seite der Wupper – vis-à-vis von Engels – steigen wir zu viert vorsichtig eine enge, etwas bröckelnde Treppe zum Ufer hinunter. Vorneweg geht Dajana Meier – die 54-jährige Mitarbeiterin der Stadtwerke hat ein ehrgeiziges Ziel: "Ich möchte, dass die Wupper für die Menschen hier wieder zum Rückgrat wird – zu etwas, das sie stärkt." Ihr Projekt heißt "Neue Ufer" – und nachdem wir darüber in der »Lokalzeit Bergisches Land« berichteten, wird die Organisatorin von Mitstreitern geradezu überrollt. Heute harken Dajana Meier, Anwohner Raimund Gerber und Pizzabäcker Carmelo Campisi Grasschnitt. Am Wochenende wird das Stück Wiese nämlich Anlaufstelle für etwa 300 Angler und Fliegenfischer, die hier in Barmen ein großes Treffen veranstalten – wieder ein Erfolg für die junge Initiative. Carmelo Campisi, seit September Gastronom im angrenzenden, liebevoll rosa gestrichenen Restaurant "L’elefantino", wird bis dahin noch das Treppengeländer erneuern, damit alle sicher runter kommen. Und Rentner Raimund Gerber hilft sowieso mit: "Logisch. Wir haben ja nun mal nur diesen einen Fluss und da ist bislang viel zu wenig für getan worden." So stellt sich Dajana Meier das vor: Durch die ganze Stadt hinweg beleben die Wuppertaler selbst ihre Wupper – mit Biergärten, Liegeflächen, Sitzbänken mit Blick auf den plätschernden Fluss, der schon längst keine fiese Brühe mehr ist.
Auf den Südhöhen der Stadt, ganz oben, thront die Wuppertaler Universität, 1972 als Gesamthochschule gegründet von Johannes Rau, dessen politische Karriere im hiesigen Rathaus begann. Unten, am Loh, hat die große Uni ein Schwesterchen bekommen: Quietschebunt und nagelneu präsentiert sich die Junior-Uni – eine privat finanzierte Bildungsstätte für Kinder und Jugendliche und bundesweit einmalig (wir mögen hier "Wupperlative").
Eine Erfolgsgeschichte à la Wuppertal: Rappelvoll sind die Kurse, die meisten mit den Schwerpunkten Naturwissenschaft und Technik. Zu Anmeldezeiten kochen die Leitungen – spannende Lehrstunden ("Magische Chemie", "Fledermaus-Detektor") und geringe Kursgebühren haben sich in Wuppertal längst herumgesprochen. 2008 ging es mit 600 jungen Studenten und 40 Kursen los, 2013 zählte die Junior-Uni bereits 24 000 Plätze in mehr als 2 000 Kursen.
Die Bühnen der Stadt Wuppertal haben mit ihren Angeboten in der vergangenen Spielzeit mehr als 115.000 Menschen erreicht. Das ergibt sich aus dem neuen Kulturbericht der Stadt Wuppertal von September 2019. Allein das Schauspiel hat um 2.000 Besucher auf 28.700 Besucher zugelegt. Zunehmend spielt auch die freie Kulturszene eine Rolle.
Viele Wuppertalerinnen und Wuppertaler hoffen auf ein Tanzzentrum, das im Sinne der großen Choreographin Pina Bausch gefüllt wird mit Aufführungen und einem Tanz-Archiv.
Ich verlasse das Tal und wandere die Serpentinen hoch zum Skulpturenpark "Waldfrieden". Künstler Tony Cragg hat hier ein Refugium geschaffen zum Einfach-Rumlaufen-und-Entdecken. Auf knirschigen Waldwegen schlendere ich vorbei an riesigen und kleineren Skulpturen. Hier treffe ich die Kunststudentin Joanna Stange (24), die in Führungen Besuchern aus NRW besonders gerne ihre Lieblingsstücke zeigt. Der Park gilt längst als Ausflugstipp in NRW, aber auch die Wuppertaler lieben diese Anlage mit ihren vielen alten Laubbäumen.
Überhaupt – an Ausflugstipps bietet Wuppertal eine ganze Menge. Der Zoo, sicher. Und klar, die Schwebebahn, dieses komische Transportmittel, geliebt von Touristen und selbstverständlich die flotteste Form der Fortbewegung für Einheimische. Die frisch sanierte Hängebahn schaukelt mich nach Oberbarmen – und nach ein paar Minuten Fußweg erreiche ich die Nordbahn-Trasse. Diese ehemalige Eisenbahnstrecke wird – durch Bürgerengagement – langsam zum Radweg von Westen nach Osten. Ich kreuze die Trasse an einem alten Bahnhof – der Name "Wichlinghausen" verwittert langsam. Direkt dahinter ist ordentlich was los: Auf der frisch eröffneten Parcours-Anlage – wieder ein Wupperlativ: die größte ihrer Art in Deutschland – trainieren Könner und Anfänger, möglichst effizient über Hindernisse zu kommen. Sport-Student Sebastian Gies (22) hat diese Anlage mitgeplant – als Bindeglied zwischen der Szene und der Stadt Wuppertal: "Mittlerweile kommen die Leute von ziemlich weit her, um hier zu üben." Nebenan steht die Skaterhalle "Wicked Woods" – mein Sohn hat auf deren Rampen seine ersten Tricks gelernt.
Spätnachmittags fahre ich mit der Schwebebahn zurück nach Elberfeld – gute Zeit für einen Milchkaffee im Luisenviertel, der Ausgehmeile der Stadt. Hier sind richtig junge Leute wie meine Tochter unterwegs, aber auch wir Mittel-Jungen. Vor den Cafés wie "Congo" oder "Katzengold" ist bei Sonne (haben wir ganz schön oft!) Outdoor-Sitzen angesagt. Vorher gibt’s aber noch eine Zeitung bei "Kippen-Eri": Erika Theimann ist die gute Seele des Kiosks "Glück am Eck", hat unglaublich trockenen Humor und weiß, was im Viertel vor sich geht – und im WDR.
Es ist Tango-Zeit!
Denn nur ein paar Meter weiter liegt unser Studio, luftig untergebracht in einem umgebauten Möbelhaus. Luft brauchen wir auch – als Laborstudio samt neuer crossmedialer Aufgaben wollen (und müssen) wir vieles ausprobieren. Der Prozess geht gerade erst los, die Stimmung ist gut und Themen gibt es sowieso genug, an denen wir uns multimedial austoben können.
Gleich wird es dunkel. Dann leuchtet – von fast überall in Wuppertal zu sehen – die Bergische Universität in wechselnd scharfen Kanten – dank der Installation des Lichtkünstlers Mischa Kuball. Jetzt packen Männer und Frauen Tanzschuhe in Leinensäckchen – es ist Tango-Zeit. Wuppertal ist eine Hochburg des Argentinischen Tangos, das alljährliche Festival zieht Hunderte in die Historische Stadthalle. Aber richtig schön finde ich es anderswo. Tangolehrerin Dona Piedra unterrichtet im aufstrebenden Arbeiterstadtteil Arrenberg – ihre Schule in einem alten Fabrikgebäude liegt, wie könnte es anders sein, wieder mal direkt an der Wupper. Hier habe auch ich meine ersten Tango-Schritte gelernt, so wie die Schülerinnen und Schüler des Anfänger-Kurses, die sich jetzt innig über den Holzboden schieben.
Petra Wagner lebt mit ihrer Familie in Wuppertal. Die gelernte Zeitungsredakteurin hat als freie Journalistin für den Hörfunk, die »Aktuelle Stunde« und »hier und heute« gearbeitet, bevor sie fest angestellt wurde. Wagner: "Ich bin sehr gerne Fernsehredakteurin im crossmedialen Studio Wuppertal mit mehrjährigem Ausflug zur ›Lokalzeit Düsseldorf‹."