Der Blick aus meinem Bürofenster erinnert mich jeden Tag daran, was in Paderborn zurzeit wirklich zählt: "Lass mal erstklassig bleiben" – Ein riesiges Transparent hängt an der Hauswand gegenüber vom WDR-Büro. Aber der lässige Spruch mitten in der Fußgängerzone passt eigentlich gar nicht zu der angespannten Gefühlslage der Paderborner.
Ein Jahr lang, seit dem Aufstieg des SC Paderborn 07 in die Fußball-Bundesliga, hat hier fast jeder mit der Mannschaft mitgefiebert. Nach dem Wochenende wurden Punkte gezählt, Tabellenplätze verglichen und die alles entscheidende Frage diskutiert, ob der SC die Liga wohl halten kann.
"Lass mal erstklassig bleiben" – ein Motto, das die Paderborner aber nicht nur im Sport für sich in Anspruch nehmen. Erstklassig ist für Dietrich Honervogt und seinen Verein der "Freunde der Pader" auch die Wasserlandschaft rund um den Paderborner Dom. Die Pader ist der Namensgeber der Stadt und mit nur vier Kilometern der kürzeste Fluss Deutschlands. Einzigartig ist auch das Quellgebiet. Das Wasser der Pader sprudelt aus über 200 kleinen Quellen, die im historischen Stadtkern eine große Flusslandschaft bilden.
Wenn meine Termine es zulassen, dann sind die Paderquellen eine meiner ersten Adressen für die Mittagspause. An der "Warmen Pader" schmeckt der Cappuccino eben besonders gut. Und wenn an heißen Sommertagen Büroangestellte im Anzug genauso wie Studenten durch den Park schlendern oder im Quellwasser ihre Füße kühlen, dann ist allein schon dieser Anblick Entspannung pur.
Paderborn und seine Hightech-Pioniere
Die Idee, das Paderquellgebiet zum Weltkulturerbe zu machen, ist zwar gescheitert. Aber verdient hätte es dieser Fluss schon!
Im Mittelalter drehten sich an der Pader bis zu 20 Mühlen, von denen allerdings – in malerischer Kulisse – nur noch ein einziges Wasserrad übrig geblieben ist. Deutlich mehr und größere Mühlen stehen heute am Stadt-rand von Paderborn, an den Hängen des Eggegebirges. Moderne Windkraftgiganten ragen bis zu 200 Meter hoch in den Himmel – Türme, die auch dem Reporter alles abverlangen. Für Reportagen von ganz oben musste ich schon so manches Mal die schmale Leiter im Innern der Anlage hochklettern. Aber der Ausblick, wenn man es geschafft hat, ist einfach genial und entschädigt für jeden Schweißtropfen. Und den Ingenieuren sei Dank: inzwischen gibt es in den modernen Anlagen auch Fahrstühle, die Servicekräften – und Reportern – die Arbeit erleichtern.
Im Paderborner Land weht der Wind besonders kräftig, und so entstand hier schon Mitte der 90er Jahre Europas größter Windpark abseits der Küstenregionen. Der Kreis Paderborn deckt heute mit insgesamt 400 Windkraftanlagen gut die Hälfte seines Strombedarfs – Tendenz weiter steigend.
Es waren Windkraftpioniere wie Johannes Lackmann, die die hügelige Landschaft um Paderborn herum geprägt haben. Aber besonders stolz sind die Paderborner auf einen ganz anderen Pionier: Heinz Nixdorf. Ein Unternehmer, der diese Stadt wie kein anderer verändert hat und dessen Erbe mir auch bei meiner Arbeit immer wieder begegnet.
Die Paderborner Computerindustrie hat die Forschung und die Ausbildung an der Universität geprägt. Heute studieren hier rund 20 000 junge Leute. Auch die Autobahn und der Flughafen wurden auf Initiative von Heinz Nixdorf gebaut. Und selbst die Entwicklung Paderborns als Sportstadt wäre ohne diesen Unternehmer kaum denkbar gewesen.
Als mittelloser Physikstudent hat Nixdorf in den 50er Jahren eine Garagenfirma gegründet und daraus in den folgenden Jahrzehnten Europas drittgrößte Computerschmiede gemacht. Ein Weltunternehmen, durch das Paderborn aus dem Dornröschenschlaf geweckt wurde. Bis heute gibt es hier rund 300 Firmen und Tausende Arbeitsplätze in der Informationstechnologie. Diese Erfolgsgeschichte erzählt das Paderborner Heinz Nixdorf MuseumsForum, das – wie es heißt – weltweit größte Computermuseum.
"Ich weiß nicht, ob Sie‘s schon wussten ...?"
Etwas bescheidener geben sich die Künstler dieser Stadt. "Ich weiß nicht, ob Sie’s schon wussten ..." – Der Comedian Rüdiger Hoffmann nimmt in seiner bedächtig langsamen Art gern auch den Westfalen an sich und den Paderborner im Besonderen auf die Schippe. Erwin Grosche lebt vor allem für seine vielen Geschichten, in denen er die kleinen Dinge des Lebens ins rechte Licht rückt. Grosche ist als Kleinkünstler, Schauspieler, Autor und Filme-macher ein wahres Multitalent und viel unterwegs. Aber wenn er einmal zu Hause ist, dann trifft man ihn am ehesten beim Spaziergang mit seinem Hund im Haxtergrund am Stadtrand von Paderborn. Oder er sitzt dort bei einem Stück Apfelkuchen von Herrn Weyher. Diesem Wirt und seinem Kuchen hat Grosche ebenfalls eine seiner Geschichten gewidmet.
Seit genau 20 Jahren lebe ich nun im Paderborner Land. Für einen Protestanten aus Niedersachsen, der lange Zeit auch in Bielefeld gelebt hat, bietet diese Ecke von Nordrhein-Westfalen einige Überraschungen. Die Bräuche und Feste dieser katholischen Hochburg gehörten schließlich in den ersten 30 Lebensjahren nicht unbedingt zu meinem Alltag.
Aber ich lebe hier inzwischen gern, liebe die Dörfer um Paderborn herum, fahre gern mit dem Fahrrad durch die Heidelandschaft der Senne. Und ich mag diese kleine Groß-stadt, wo man auch den Bürgermeister noch zufällig in der Fußgängerzone trifft, um dann mit ihm über die nächste Sitzung des Stadtrats zu sprechen. Für den Reporter ist Paderborn eben eine Stadt der kurzen Wege. Und deshalb würde ich sagen – frei nach dem SCP: "Lass mal hier bleiben!"
Manfred Schumacher stammt aus dem Kreis Diepholz in Niedersachsen. Der gelernte Sozialarbeiter sattelte 1988 um: Seitdem arbeitete er als Journalist. Von 1995 bis 2007 berichtete Schumacher für den WDR als Regionalkorrespondent aus Paderborn, bis 2021 leitete der Redakteur aus dem WDR-Studio Bielefeld das Büro Paderborn.
Dieser Artikel erschien im Juni 2015 in der WDR PRINT.