Umgestürztes Auto im Parkverbot am St. Pauli Fischmarkt in Hamburg

Stichtag

19. November 1987 - Einigung im Konflikt um die Hafenstraße

Barrikaden, Molotowcocktails, Straßenschlachten - die Hamburger Hafenstraße ist fast 15 Jahre lang ein Symbol für linken Widerstand gegen den Staat. Begonnen hat der Konflikt um alternative Wohn- und Lebensformen ohne Aufsehen: Unbemerkt besetzen im Herbst 1981 einige Studenten und Autonome zwölf teilweise leer stehende Häuser. Die Stadt hat beschlossen, die maroden Altbauten mit Blick auf die Elbe abzureißen und die Fläche profitabler zu nutzen. Aufmerksam auf die Besetzer wird die städtische Wohnungsbaugesellschaft SAGA als Eigentümerin der Häuser erst ein halbes Jahr später: An einer Fassade hängt im Frühjahr 1982 ein Transparent mit der Aufschrift "Besetzt - ein Wohnhaus ist kein Abrisshaus".

Die SAGA lässt die Häuser umgehend polizeilich räumen, doch kurz darauf werden sie erneut "instand besetzt". Im November 1983 schließt die Wohnungsbaugesellschaft mit den Besetzern Mietverträge ab - allerdings befristet bis Ende 1986. "Die Bewohner kamen und unterschrieben den Vertrag mit 'B.Setzer' - und niemand hat's gemerkt", sagt der damalige Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) später.

12.000 demonstrieren für Erhalt

Für die etablierten Parteien sind die Hausbesetzer jedoch ein Ärgernis. Immer wieder kommt es zu Konfrontationen. Im Januar 1985 errichten Anwohner Barrikaden und setzen sie in Brand, um ihre Solidarität mit inhaftierten RAF-Mitgliedern zu demonstrieren. Im Herbst desselben Jahres behauptet Christian Lochte, damals Chef des Hamburger Verfassungsschutzes, in der Hafenstraße hielten sich der RAF nahestehende Frauen versteckt.

Als mehrere Bewohner mit Mietzahlungen im Rückstand sind, rücken im Herbst 1986 vier Hundertschaften Polizisten an, um sechs Wohnungen zu räumen. Der Hamburger Senat möchte die Gebäude so schnell wie möglich abreißen lassen. Kurz vor dem Auslaufen der dreijährigen Mietverträge fordern deshalb im Dezember 1986 rund 12.000 Demonstranten den Erhalt der Gebäude. Die Parole lautet: "Solidarität mit der Hafenstraße. Keine Räumung, kein Abriss. Schluss mit dem Polizeiterror." 1987 eskaliert die Situation: Schwere Krawalle und Brandanschläge führen zu einer Verhärtung der Fronten. Um die polizeilichen Räumungskommandos fernzuhalten, verbarrikadieren sich die Hausbesetzer.

"Alternativen am Elbufer"

Um die explosive Lage zu befrieden, greift Bürgermeister von Dohnanyi zu einem unerwarteten Mittel: Gegen erheblichen Widerstand - auch in seiner eigenen Partei - bürgt er mit seinem Amt für die Durchsetzung eines neuen Pachtvertrags, sofern die Bewohner die Barrikaden beseitigen. Die Besetzer nehmen das Angebot an. Innerhalb weniger Stunden werden Stacheldraht und Eingangssperren weggeräumt und die Häuser wieder zugänglich gemacht. Am 19. November 1987 unterzeichnet der Bürgermeister schließlich den Pachtvertrag. Das von ihm erhoffte "Wunder" ist eingetreten. Der Konflikt ist beendet.

Im April 1993 erklärt zwar das Oberlandesgericht Hamburg den Pachtvertrag wegen angeblicher Verfehlungen der Bewohner für gekündigt. Doch als von Dohnanyis Nachfolger, Henning Voscherau (SPD), den Hafenstraßen-Bewohnern im April 1994 anbietet, auf Räumung und Abriss zu verzichten, wenn sie die Bebauung der angrenzenden Freifläche akzeptieren, gibt es keine Proteste. Die Errichtung von Sozialwohnungen kann beginnen. Im Dezember 1995 verkauft die Stadt die Hafenstraßen-Häuser schließlich an die - von ehemaligen Hausbesetzern eigens gegründete - Genossenschaft "Alternativen am Elbufer".

Stand: 19.11.2012

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