Stichtag

09. April 2007 - Vor 50 Jahren: Dr. Adams wird vom Mordvorwurf freigesprochen

Vor dem Eingang von Old Bailey stehen die Schaulustigen 1957 Schlange. Sie alle wollen einen Platz in Londons zentralem Strafgerichtshof ergattern. Aber nur 38 Zuhörer schaffen es schließlich auf die Galerie. Der Rest der Plätze ist von Journalisten besetzt. Auf der Anklagebank sitzt der Landarzt John Bodkin Adams, der sieben Jahre zuvor seine PatientinEdith Alice Morell, die steinreiche Witwe eines Konservenfabrikanten, mit Morphium ermordet haben soll. Mordmotiv: ein Rolls Royce und eine Silbertruhe, die Adams erben sollte. Die Ermittler überprüfen neben diesem 24 weitere Todesfälle aus dem Kreis von Adams ' Patientinnen.

Gedächtnislücken und Verhörer?

Am Anfang des Prozesses geben die Buchmacher von London keinen Pfifferling auf den vermeintlichen Witwenmörder von Eastburne. Die Anklage gibt sich siegessicher, die zwölfköpfige Jury der Geschworenen hat den Schuldspruch vermutlich schon im Kopf. Immerhin soll Adams bei seiner Verhaftung zu seiner Sprechstundenhilfe gesagt haben, er werde sie im Himmel wiedersehen - wohl nach seiner Hinrichtung, wie man vermutet. Aber Wettbüros und Staatsanwaltschaft haben die Rechnung ohne Verteidiger Geoffrey Lawrence gemacht. Nach und nach stellt er alle Zeugen der Anklage als unglaubwürdig dar. Die Erinnerung von Krankenschwestern wird mit Protokollen verglichen und als lückenhaft entlarvt. Wo dies nicht geht, beruft sich die Verteidigung auf etwaige Verhörer. Hatte Adams tatsächlich gesagt, er werde seine Helferin im Himmel wiedersehen? Hatte er nicht vielmehr behauptet, er werde um sieben wieder in die Praxis kommen? "In heaven" und "at seven" klingen schließlich ähnlich. Und selbst das unverbrüchlichste Indiz der Anklage zertrümmert Lawrence. Denn Morell hatte den Arzt kurz vor ihrem Tod wieder aus dem Testament gestrichen. Der Sohn der Verstorbenen hatte ihm den Wagen und die Silbertruhe übergeben, da er davon ausgegangen war, dass dies dem letzten Willen seiner Mutter entsprochen hätte.

Ein Gerichtsreporter rechnet aus, dass während des Prozesses rund 400.000 Wörter gesprochen werden, ein Großteil von der Verteidigung in 80 Stunden Verhör und Kreuzverhör. Adams steuert ganze vier Wörter bei: "Ich bin nicht schuldig." Die Geschworenen schließen sich dem an. Dank der brillanten Taktik seines Anwalts wird der Arzt nach 44-minütiger Beratung am 9. April 1957 vom Mordvorwurf freigesprochen und darf in dieser Sache nie wieder angeklagt werden. Wegen der falschen Behandlung mit Morphium verliert er später seine Zulassung. Zwei Jahre nach dem Urteil sichtet ihn die Regenbogenpresse auf Madeira. Adams stirbt 1983 als reicher Mann.

Stand: 09.04.07