Stichtag

20. April 2006 - Vor 135 Jahren: Erste deutsche Fahrplankonferenz startet

Für ein gesamtdeutschen Schienennetz ist es höchste Eisenbahn. Das jedenfalls findet Nationalökonom Friedrich List aus Tübingen. "Das deutsche Eisenbahnsystem wirkt auf die Vervollkommnung der deutschen Nationalzustände als ein fester Gürtel um die Lenden der deutschen Nation, der ihre Glieder zu einem streitbaren und kraftvollen Körper verbindet", schreibt List Mitte des 19. Jahrhunderts. Eine Vernetzung des Verkehrs wirke "auf die Vervollkommnung der deutschen Nationalzustände als Nationalverteidigungsinstrument. Denn es erleichtert die Zusammenziehung, Verteilung und Direktion der Nationalstreitkräfte."Mit seinem heute sehr verquast klingenden Lobgesang auf ein geeintes Eisenbahnsystem spricht List Reichskanzler Otto von Bismarck aus der Seele. Immerhin hat Deutschland im Krieg gegen Frankreich 1871 nicht zuletzt deshalb gewonnen, weil seine Truppen dank Dampflokomotiven schneller an die Front transportiert werden konnten. Aber noch hat das "Nervensystem des Gemeingeists" (List) mit seinen immerhin schon 20.000 Kilometern Schienensträngen ein Raum-Zeit-Problem. Denn es gibt in den deutschen Kleinstaaten keine einheitliche Zeitrechnung. Maßgeblich ist der Sonnenstand, und der ist je nach Längengrad verschieden. Mittag ist, wenn die Sonne am höchsten steht. Zwölf Uhr in Aachen ist fünf nach zwölf in Köln und halb eins in Berlin. Eisenbahngesellschaften nehmen ihre jeweilige Ortszeit mit, um auch andernorts mit ihr zu rechnen. So kann es passieren, dass man in Nürnberg den Zug um 15:10 Uhr verpasst, weil er aus Dresden kommt, wo 15:10 Uhr bereits zwölf Minuten früher war. Kluge Fahrgäste haben deshalb immer gleich mehrere, unterschiedlich gestellte Uhren im Gepäck.

Eine erste deutsche Fahrplankonferenz soll da Abhilfe schaffen. Am 20. April 1871 wird sie eröffnet. Sie bringt noch kein Ergebnis. Zu unterschiedlich sind die Positionen und Interessen der 80 teils privaten Gesellschaften mit ihren rund anderthalb Tausend verschiedenen Tarifen. Aber sie schärft doch das Bewusstsein, dass eine gemeinsame und für alle verlässliche Planung des Eisenbahnverkehrs auf die Schiene gebracht werden müsse. Der Gürtel um die Lenden der Nation zieht sich ein wenig enger.Stand: 20.04.06

Weitere Themen