Stichtag

03. Juni 2006 - Vor 15 Jahren: Urteil gegen Ex-RAF-Mitglied Susanne Albrecht

30. Juli 1977, Oberursel, gegen 16.40 Uhr: Zwei Frauen und ein Mann stehen vor der Villa der Familie von Jürgen Ponto, dem Chef der Dresdner Bank. Sie haben einen Rosenstrauß dabei und klingeln. "Hier ist Susanne", meldet sich die damals 27 Jahre alte Susanne Albrecht, das Patenkind der Pontos, an der Sprechanlage des Gartentores. Bedenkenlos wird den unangemeldeten Besuchern geöffnet. Ihr Plan: Sie wollen Ponto kidnappen und einen Austausch mit RAF-Häftlingen erzwingen. Doch der Bankier wehrt sich. Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt töten ihn mit fünf Schüssen. Susanne Albrecht, das dritte Mitglied des RAF-Kommandos, sagt später, sie habe heimlich die Patronen aus ihrem Revolver genommen, um nicht schießen zu können. Nach der Tat fliegt sie zusammen mit anderen Terroristen in ein militärisches Ausbildungslager nach Jemen.

Am 25. Juni 1979 ist Susanne Albrecht an einem gescheiterten Attentat auf den Nato-Oberbefehlshaber Alexander Haig beteiligt. Sie bringt den Sprengstoff zum Tatort in Belgien und wartet in einer konspirativen Wohnung auf die Rückkehr der anderen Kommandomitglieder. Danach verliert sich ihre Spur. Mit Hilfe der Stasi beginnt sie in der DDR unter anderem Namen ein neues Leben, arbeitet als Chemielaborantin und heiratet. Als Ingrid Becker, geborene Jäger, führt sie mit Mann und Kind ein bürgerliches Leben. Nicht einmal ihr Partner weiß über ihre Vergangenheit Bescheid. Nach der Wende wird Susanne Albrecht im Frühjahr 1990 in Ost-Berlin verhaftet.

Während des Prozesses in Stuttgart-Stammheim legt Susanne Albrecht ein umfassendes Geständnis ab. Sie erklärt, sie habe das Schlimmste getan, was ein Mensch tun könne. Sie habe das Leben der Familie Ponto und das ihrer Eltern zerstört. Am 3. Juni 1991 wird das Urteil verkündet. Mit einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren hat sich das Gericht dem Antrag der Bundesanwaltschaft angeschlossen. In seiner Urteilsbegründung sagt der Vorsitzende Richter Kurt Breucker, das Gericht lasse sie aufgrund ihrer Aussagebereitschaft und Aufklärungshilfe in den Genuss der Kronzeugenregelung kommen. Andernfalls wäre eine lebenslange Haftstrafe unumgänglich gewesen. Susanne Albrecht muss nur die Hälfte ihrer Gefängnisstrafe absitzen. 1996 wird sie auf Bewährung aus der Haft entlassen. Die Kronzeugenregelung ist 1989 in das Strafgesetzbuch aufgenommen worden. Sie sollte RAF-Mitgliedern den Ausstieg erleichtern und ist Ende 1999 ausgelaufen.

Stand: 03.06.06