Stichtag

03. Dezember 2006 - Vor 80 Jahren: Reichstag billigt das Schund- und Schmutzgesetz

Durch Trivialliteratur kann man verblöden. Niemand weiß dies besser als Don Quichotte, der im gleichnamigen Roman des spanischen Autors Miguel de Cervantes auf dem Sterbebett seine Verblendung erkennen muss. Den billigen Ritterromanen des 16. Jahrhunderts ist es zu verdanken, dass Quichotte auf einem alten Klepper und mit einer Barbierschüssel auf dem Kopf durch die Lande geritten ist, um gegen Windmühlen, die er für Riesen hielt, zu kämpfen. Statt etwas Anständiges zu leisten, verwirrte minderwertige Literatur dem verarmten Landjunker den Geist.Vom schädlichen Einfluss billiger Unterhaltungslektüre auf Menschenwohl und Volksgemeinschaft ist man in der Weimarer Republik überzeugter den je. Denn während zu Cervantes ' Zeiten nur der elitäre Adel lesen konnte, verlangt inzwischen die alphabetisierte breite Masse nach Befriedigung ihres Lesehungers. "Die Hyäne im Expresszug", "Das Automobil des Teufels" oder "Der Dienstmädchenwürger" - so lauten jetzt die reißerischen Titel der billigen Groschenhefte, die an jeder Straßenecke auf Kundschaft lauern und das Land der Dichter und Denker ins Verderben stürzen wollen. Politiker und Lehrer warnen vor einer "Entfesselung der Sinnlichkeit" und fordern einen "Schutz vor der Volksverwüstung schlimmster Art".

Zensur findet wieder statt

Am 3. Dezember 1926 endlich billigt der Berliner Reichtag das so genannte Schund- und Schmutzgesetz. Zu den Befürwortern im Parlament gehört auch der spätere Bundespräsident Theodor Heuss. Von nun an wachen Prüfstellen darüber, welche Heftchen und Bücher indiziert werden müssen oder nicht mehr an Personen unter 18 Jahren verkauft werden dürfen. Geld- und Haftstrafen drohen. Um auf die schwarze Liste zu kommen reicht es schon aus, wenn in einer Liebesszene beschrieben wird, dass die Beine des beteiligten Mädchens zu sehen sind.Unter den Nationalsozialisten wird das Schund- und Schmutzgesetz 1935 abgesetzt - allerdings nur, um mit der Reichsschrifttumskammer einem weitaus schlimmeren und gefährlicheren Zensurinstrument zu weichen. In der jungen Bundesrepublik wird 1953 das "Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften" verabschiedet. Es verbietet Bücher, "die geeignet sind, Kinder oder Jugendliche sittlich zu gefährden." Das erste indizierte Produkt trägt den Titel "Der kleine Sheriff". Es ist ein illustriertes Westernheftchen.

Stand: 03.12.06

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