Stichtag

30. Juli 2009 – Peter Zadek stirbt in Hamburg

Für Peter Zadek ist Theater Psychologie und Spiel. Von ideologischem Überbau will er nichts wissen. Seine Schauspieler dürfen sich nach Herzenslust schminken und verkleiden – und so das Seelenleben ihrer Figuren offenbaren. Oftmals schaut Zadek den Proben tagelang wortlos zu, bevor er mit feinem Gespür für falsche Töne oder geschauspielerte Verlogenheiten eingreift. "Es wird ja wahnsinnig viel gelogen am Theater", sagt Schauspieler Gert Voss. "Und er war derjenige, der das sofort hörte und sah und sich durch keine Virtuosität der Welt irreführen ließ."

Dann genügt oftmals ein einziger Satz, um die Truppe wieder auf den richtigen Weg zu bringen. "Ach, weißt du, denk immer nur daran, so schnell wie möglich nach Paris zu kommen", sagt er während der Proben zu Tschechows "Kirschgarten" beispielsweise zu Angela Winkler. "Weil ich immer dazu neige, so schwer, also so tief zu gehen", wie die Schauspielerin begreift. Durch den einen Satz Zadeks findet sie zu einer Leichtigkeit, die ihrer Rolle angemessen ist.

Jean Genet droht mit der Waffe

Geboren wird Zadek 1926 als Sohn jüdischer Eltern in Berlin-Wilmersdorf. Seine sorglose Kindheit endet 1933, als er mit seinen Eltern vor den Nationalsozialisten nach England fliehen muss. Doch auch dort ist seine jüdische Herkunft ein Makel. Trotz bestandener Prüfung für ein Stipendium am College in Oxford bekommt er mit der Begründung keinen Platz, dass die "jüdische Quote" bereits erfüllt sei. Erst ein Jahr später kann Zadek mit dem Studium der Germanistik und Romanistik an einem anderen College beginnen.

In Oxford beginnt vor allem aber Zadeks Karriere am Theater. 1944 steht er in einer Nebenrolle in Shakespeares "Maß für Maß" erstmals auf der Bühne – gemeinsam mit Richard Burton, der später in Hollywood Karriere macht. In London lässt sich Zadek nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zum Regisseur ausbilden und inszeniert in den 50er Jahren vor allem an kleinen Theatern. Schon seine erste großen Regiearbeit 1957 wird als Skandal empfunden – nicht nur vom Publikum, sondern auch vom Autor: Weil das Stück "Der Balkon" nach Meinung von Jean Genet zu realistisch inszeniert ist, bedroht der Verfasser Zadek sogar mit dem Revolver.

Die nackte Lulu

1958 erhält Zadek die Einladung, in Köln das absurde Stück "Kapitän Barda" von Jean Vauthier aufzuführen. Dort lässt der Regisseur die Ehefrau der Titelfigur dreihundert Mal hintereinander nach dem nicht vorhandenen Ausgang fragen – und sorgt mit Einfällen wie diesem dafür, dass die Kölner scharenweise das Theater verlassen. Fortan wird ein Teil des Publikums immer wieder wutschnaubend vor den eigenwilligen, oftmals mit Musik- und Tanzelementen durchwirkten Inszenierungen des Regisseurs auf die Straße fliehen. Der andere Teil aber bleibt fasziniert und begeistert bis zum umjubelten Ende im Zuschauerraum.

1962 holt Paul Hübner Zadek nach Bremen, wo dieser gemeinsam mit einer Garde junger, noch unbekannter Schauspieler wie Hannelore Hoger, Vadim Glowna, Jutta Lampe, Judy Winter, Edith Clever oder Bruno Ganz den wilden "Bremer Stil" mitentwickelt. Durch die berühmt gewordene Inszenierung von Schillers "Die Räuber" 1965 mit ihren stilisierten Kostümen und ihrem Pop-Art-Bühnenbild etwa nimmt er den Freiheitsgeist der Studentenrevolte vorweg. 1972 wird Zadek Generalintendant des Bochumer Schauspielhauses. Bereits drei Jahre später aber wird ihm die Aufgabe zu öde: Er will lieber wieder selbst Theater machen.

Trotzdem übernimmt Zadek 1985 nochmal eine Intendanz am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, wo er 1988 mit "Lulu" und einer nackten Susanne Lothar in der Titelrolle sein ebenfalls wieder äußerst provokantes Meisterwerk vorlegt. 1992 wird er zudem Ko-Direktor am Berliner Ensemble, um "Ostschauspieler und Westschauspieler zu verheiraten". Er stirbt am 30. Juli 2009 in Hamburg.

Stand: 30.07.2014

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