Stichtag

29. Mai 1993 - Fünf Türkinnen sterben bei Brandanschlag in Solingen

Solingen, 29. Mai 1993: Der Pfingstsamstag ist gerade eine gute Stunde alt, als sich Flammen in einem Mehrfamilienhaus in der Unteren Wernerstraße ausbreiten. Die alarmierte Feuerwehr trifft auf eine Frau, die oben an einem Fenster steht. Sie hat ein Kind dabei und will hinunterspringen. Die Einsatzkräfte versuchen vergeblich, sie zu beruhigen: "Wir hatten Schwierigkeiten mit den Leuten, die mit Wolldecken ankamen; die die Frau aufforderten zu springen", erinnert sich ein Feuerwehrmann später. "Die hatten ja keine Ahnung, dass man die Frau mit vier Leuten nicht halten kann." In Panik wirft sie ihr Kind aus dem Fenster. Ein Helfer versucht, es aufzufangen. Es gelingt ihm nicht. Daraufhin springt die Frau, noch bevor das Sprungtuch bereit ist.

Die Rettungskräfte können für die beiden nichts mehr tun und dringen ins brennende Haus der türkischstämmigen Familie Genç ein. Dort stoßen sie auf verbrannte Leichen. Bald darauf stellt sich heraus, dass das Feuer gelegt worden ist. Insgesamt sterben fünf Menschen, 14 weitere werden zum Teil schwer verletzt.

Täter: Vier junge Männer

Es sind nicht die ersten ausländischen Opfer: Seit Jahren ist die Stimmung in Deutschland aufgeheizt. Die Asylbewerberzahlen sind gestiegen. In den Medien und bei Politikern macht das Wort "Asylmissbrauch" die Runde. In Hoyerswerda ist es bereits im September 1991 und in Rostock-Lichtenhagen im August 1992 zu rassistischen Ausschreitungen gegen Flüchtlinge gekommen. Im November 1992 sind in Mölln bei einem Brandanschlag drei Türken getötet worden. In Solingen entlädt sich nun die Empörung: Rund 500 meist türkische Jugendliche, aber auch Autonome aus dem ganzen Bundesgebiet ziehen am Pfingstmontag randalierend durch die Innenstadt. Tage später protestieren rund 15.000 Demonstranten gegen Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und den Terror von rechts.

Zwei Tage nach dem Anschlag hat die Polizei den ersten Tatverdächtigen festgenommen. Sieben Tage später gibt die Generalbundesanwaltschaft bekannt, dass drei weitere junge Männer in Untersuchungshaft sitzen. Einer von ihnen war früher Mitglied der rechtsextremen Deutschen Volksunion (DVU). Sie sind im Alter von 15 bis 23 Jahren und stehen im dringenden Verdacht, für den Tod von zwei Frauen und drei Mädchen der Familie Genç verantwortlich zu sein.

Richter: Fünffacher Mord

Drei der jungen Männer haben sich am 28. Mai 1993 selbst zu einem Polterabend eingeladen. Auf dieser Feier geraten sie mit zwei Ausländern in Streit und nehmen an, die beiden seien Türken. Als die Tatverdächtigen rausgeworfen werden, treffen sie auf der Straße einen Bekannten. Zusammen planen sie den Brandanschlag. Über zwei Jahre später verkündet das Oberlandesgericht Düsseldorf sein Urteil. Verhängt werden Haftstrafen von zehn und 15 Jahren wegen fünffachen Mordes, 14-fachen versuchten Mordes und besonders schwerer Brandstiftung. Der Vorsitzende Richter, Wolfgang Steffen, spricht von einem der "schwersten ausländerfeindlichen Verbrechen der Nachkriegsgeschichte".

Der Prozess hat so lange gedauert, weil in den Polizeiakten Ungereimtheiten auftauchten, Geständnisse widerrufen wurden und es zwischenzeitlich 19 verschiedene Tatversionen gab. In der Verhandlung zeigte sich außerdem, dass ein V-Mann des Verfassungsschutzes Kontakt zu den Angeklagten gehabt hatte. Journalisten haben noch Jahre später offene Fragen: Es sei nie geklärt worden, warum dieser V-Mann nach dem Brandanschlag die Tatverdächtigen vor Hausdurchsuchungen gewarnt habe.

Opfer: "Ich hege keinen Hass"

Ungeachtet dessen ruft Mevlüde Genç, die den Brandanschlag überlebt hat, zur Versöhnung auf: "Ich habe fünf Menschen, meine Verwandten und meine Kinder verloren. Andere sollen nicht so leiden wie ich. Ab jetzt müssen wir in Brüderlichkeit, Eintracht und Freundschaft leben, für immer. Ich hege keinen Hass - für niemanden." Für ihren Appell wird sie unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.

Stand: 29.05.2013

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