Stichtag

26. Mai 1993 - Bundestag ändert Asylrecht

Im Bonner Regierungsviertel herrscht am 26. Mai 1993 Ausnahmezustand. Rund um die Bannmeile blockieren etwa 10.000 Demonstranten die Zugänge zum Bundestag und legen den Verkehr lahm. Sie protestieren gegen die geplante Abstimmung über das Asylrecht. Das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik soll ein Grundrecht geändert werden. Die Abgeordneten gelangen trotzdem ins Plenum. Allerdings erreichen nur gut 250 Abgeordnete ihr Ziel auf dem Landweg. 260 Parlamentarier werden per Schiff über den Rhein gebracht, 130 mit Hubschraubern eingeflogen. Die für Verfassungsänderungen notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit ist schon zu Beginn der Debatte gesichert: Die SPD hat sich schon zuvor mit der schwarz-gelben Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl ( CDU ) auf den so genannten Asylkompromiss geeinigt. Die Vorlage wird denn auch mit 521 zu 132 Stimmen angenommen.

In der Neufassung des Grundgesetzartikels 16 bleibt das Asylrecht für politisch Verfolgte zwar erhalten. Asyl erhält jedoch nicht, wer aus einem als verfolgungsfrei eingestuften Herkunftsland stammt oder über einen so genannten sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik einreist. Als "sichere Drittstaaten" gelten alle Nachbarländer Deutschlands. Ein Asylbewerber, der aus diesen Staaten einreist, kann nach einem verkürzten Verfahren abgeschoben werden. Zu den Neuerungen gehört auch die "Flughafenregelung": Der Transitbereich eines Flughafens gilt als exterritoriales Gebiet. Hier kann das Asylverfahren schon vor der Einreise durchgeführt werden.

Hintergrund der Gesetzesänderung ist die in den letzten Jahren gestiegene Zahl der Asylbewerber: 1992 sind mit rund 438.000 Personen fast doppelt so viele Menschen nach Deutschland gekommen wie im Jahr zuvor. Mit Schlagworten wie "Wirtschaftsasylant", "Scheinasylant" und "Asylmissbrauch" machen konservative bis rechtsextreme Kreise Stimmung. Im September 1991 kommt es in Hoyerswerda und im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen zu Ausschreitungen gegen Flüchtlinge. Nach den Ereignissen von Lichtenhagen spricht sich die SPD erstmals für die Begrenzung des Asylrechts aus. Im Oktober 1992 bringt Kanzler Kohl auf einem CDU-Sonderparteitag in Düsseldorf den Begriff "Staatsnotstand" in die Debatte ein. Im Monat darauf werden in Mölln bei einem Brandanschlag drei Türken getötet. Im Dezember 1992 einigen sich Union und SPD auf den "Asylkompromiss".
"Die Bundesregierung hat damals die Änderung des Asylrechts selbst betrieben", sagt Politikprofessor Christoph Butterwegge rückblickend. Da sei es nützlich gewesen, dass Teile der Bevölkerung keine Asylbewerber aufnehmen wollten. "Man hatte aber auch den Eindruck, dass die Politik bewusst diese Stimmung schürte", so Butterwegge. Drei Tage nach der Änderung des Asylrechts sterben am 29. Mai 1993 fünf Menschen türkischer Abstammung bei einem Brandanschlag in Solingen.

Stand: 26.05.08