1868 studiert Carl Koldewey mit einem Kapitänspatent in der Tasche in Göttingen Mathematik und Astronomie. Da erhält er ein überraschendes Schreiben von August Heinrich Petermann. Petermann ist einer der berühmtesten Geografen seiner Zeit. Und er hat eine gewagte Theorie entwickelt. Seiner Meinung nach ist der Nordpol kein Kontinent wie die Antarktis am anderen Ende der Erde, sondern eine Insel, die in einem eisfreien Polarmeer schwimmt.
Nun will Petermann seine These beweisen. Koldewey soll diese erste deutsche Arktisexpedition zur Ostküste von Grönland lenken. Koldewey sagt zu: nicht zuletzt auch, um den Tod seiner Braut im Jahr zuvor zu vergessen – und um die Polarforschung dem Monopol britischer Wissenschaftler zu entreißen.
Gänzlich gescheitert
Geboren wird Koldewey am 26. Oktober 1837 im niedersächsischen Örtchen Bücken. 1853 wird er Schiffsjunge, sechs Jahre später geht er auf die Bremer Seefahrtschule. Im Mai 1868 bricht er mit der "Grönland" auf, um so weit wie möglich nach Norden vorzudringen. Vor der Küste Grönlands aber wird das Schiff vom Eis eingeschlossen. Koldewey muss hilflos zusehen, wie es gen Süden abdriftet. Danach droht der Winter, der Kapitän segelt nach Bremerhaven zurück.
Petermann ist außer sich vor Wut, überträgt Koldewey aber trotzdem das Kommando über die zweite deutsche Arktisexpedition - und nimmt dabei bewusst den Tod von Besatzungsmitgliedern in Kauf. "Ich erwarte von Ihnen, dass Sie Sieger im Kampf gegen die Natur bleiben", schwört er den Kapitän auf die gefährliche Reise ein. Im Juni 1869 sticht Koldewey im Beisein von König Wilhelm I. mit dem Schraubendampfer "Germania" und dem Begleitsegler "Hansa" erneut in See.
Eisiges Neuland betreten
Bereits im Juli 1869 verlieren sich die Schiffe aufgrund des schlechten Wetters aus den Augen. Die "Hansa" wird vom Eis umschlossen und zerdrückt, die Besatzung kann sich auf eine Scholle retten. Die "Germania" schafft es immerhin, bis zu 75 Grad nördlicher Breite auf Höhe der Shannon-Insel vor der Ostküste Grönlands vorzudringen.
Koldewey lässt die Shannon-Insel vermessen - und ist dann wegen der einbrechenden Polarnacht gezwungen, mehrere Monate in der Dunkelheit zu überwintern: mit zwei Gruppenschlafsäcken für die ganze Mannschaft. Koldewey nutzt die Zeit für weitere geografische Studien; bei Einbruch des arktischen Frühlings im Juli 1870 dann dringt er mit seinem Trupp 22 Tagesreisen mit Schlitten weiter gen Norden vor – weiter als jeder andere Europäer zuvor. Einen Beleg für Petermanns Theorie indes findet er nicht.
Währenddessen schlägt sich die Besatzung der "Hansa" zu Fuß bis zur Missionsstation Friedrichstal in Grönland durch. Anfang September 1870 kommt sie in Hamburg an, eine Woche später trifft Koldewey mit der "Germania" nach 15 unmenschlich entbehrungsreichen Monaten in Bremerhaven ein. Kein Mensch ist zu seinem Empfang im Hafen: Deutschland steckt bereits im Krieg mit Frankreich.
So bleibt Koldewey der Respekt verwehrt. Er stirbt 1908 in Hamburg – und gilt bis heute als einer der großen Vergessenen der deutschen Polarforschung
Stand: 26.10.2012
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