Stichtag

10. Oktober 1861 - Geburtstag des Polarforschers Fridtjof Nansen

Die beiden Norweger verbringen den dritten Winter im Eis. Sieben Monate lang, die Dauer einer ewig finsteren Polarnacht, leben sie in einem Erdloch, überspannt von Walrosshäuten und Eisbärenfellen. Licht schimmert einzig aus rußigen Tranlichtern, betrieben mit dem Fett der erlegten Tiere. Der Polarforscher Fridtjof Nansen und sein Mannschaftskamerad Hjalmar Johansen hatten 1895 ihren Fußmarsch zum Nordpol abgebrochen - sie waren über dem 86. Breitengrad umgekehrt - und überwintern nun auf der Jackson-Insel, einem Teil des Archipels Franz-Josef-Land, der heute zu Russland gehört. Zwei Jahre zuvor, im Juli 1893, war Nansen mit dem Schiff "Fram" in See gestochen, Kurs auf den Nordpol, den bisher nie ein Mensch erreicht hat. Nansen ist überzeugt: Von Alaska her existiert eine Strömung über das Sibirische Eismeer in Richtung der grönländischen Küste, die direkt über den Nordpol führt. Nansen lässt sich mit der "Fram", norwegisch für vorwärts, vom Packeis umschließen. Nach zwei Überwinterungen im driftenden Eis wird ihm klar, dass die Strömung nicht zum Nordpol führt. Also laufen Nansen und sein Heizer Johansen zu Fuß weiter – und erreichen den Nordpol nicht. Sie schlagen sich vom treibenden Eisschild der Arktis zur Jackson-Insel durch und nach dem Ende der Polarnacht weiter nach Süden, wo sie, ein großer Zufall, auf die Expedition des Briten Frederick George Jackson treffen. Er bringt sie mit seinem Schiff zurück ins norwegische Vardö, die Stadt, in der Expedition drei Jahre zuvor begann.

"...die unendliche Stille der arktischen Nacht"

Die Leistungen des Fridtjof Nansen hätten für mehrere Leben gereicht. Der Norweger, geboren am 10. Oktober 1861 bei Oslo, ist Polarforscher, Universitätsprofessor, Diplomat, Hochkommissar im Völkerbund und Friedensnobelpreisträger. Auf einem selbst konstruierten Hundeschlitten überquert er 1888 als erster die 3.000 Meter hohe Inlandeisdecke Grönlands von der Ost- zur Westküste. Mit seinen Reiseberichten entfacht er Ende des 19. Jahrhunderts bei einer ganzen Generation die Sehnsucht nach dem Abenteuer im Eis. "Glitzernder Mondschein und die unendliche Stille der arktischen Nacht. ... Das alles erscheint mir wie ein ferner Traum aus einer anderen Welt, ein Traum, der entstanden und dahingeschwunden ist. Aber welchen Wert hätte das Leben ohne seine Träume?" So schreibt er in seinem Bericht "In Nacht und Eis. Die norwegische Polarexpedition 1893-1896". Als 20-jähriger Zoologie-Student sieht er an Bord eines Robbenfängers zum ersten Mal das arktische Packeis. "Welch ein Anblick! Nicht ein einziger Fleck ringsum, nur Weiß und Weiß, so dass man die Augen fast nicht offen halten kann."

Nansen verteilt Pässe für Flüchtlinge

Mit zähem Willen bringt er die Polarexpedition von 1893 zu Ende; mit eben soviel Durchsetzungsvermögen widmet er sich neuen Aufgaben. 1905 setzt er sich für die friedliche Trennung Norwegens von Schweden ein. Als Hochkommissar des Völkerbunds kämpft er gegen das Elend der Flüchtlinge aus dem Ersten Weltkrieg, indem er Ersatzausweise für Staatenlose verteilt, die sogenannten Nansen-Pässe. Für sein humanitäres Engagement erhält er 1922 den Friedensnobelpreis. Doch insgeheim sehnt er sich nach dem arktischen Eis. Zwei Jahre vor seinem eigenen Tod hält Nansen die Grabrede für den verunglückten Polarforscher Roald Amundsen: "Ja, die Weite und das Unbekannte, der Glanz von Tat und Abenteuer am Meereshorizont, sie riefen immer nach ihm, unserem stolzen Freund, bis sie ihn am Ende nahmen." Fridtjof Nansen stirbt am 13. Mai 1930 im Alter von 68 Jahren auf seinem Anwesen bei Oslo. Die Arktis hat er nach der gescheiterten Nordpolexpedition nie wieder gesehen.

Stand: 10.10.2011

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