Frühjahr 1901 - Verhandlungen zu "Buddenbrooks"

Stand: 26.02.2016, 00:00 Uhr

1898 veröffentlicht ein unbekannter Autor namens Thomas Mann im renommierten S. Fischer Verlag einen Novellenband mit dem Titel "Der kleine Herr Friedemann", dessen tragisch verlaufende Titelgeschichte zuvor bereits in der Verlangszeitschrift "Neue deutsche Rundschau" erschienen war. Vor allem Verleger Samuel Fischer ist begeistert vom Talent des 23-Jährigen – und wünscht sich Größeres.

"Ich würde mich freuen, wenn Sie mir Gelegenheit geben würden, ein größeres Prosawerk von Ihnen zu veröffentlichen, vielleicht einen Roman, wenn er auch nicht so lang ist", schreibt Fischer im Mai 1897 von Berlin nach München. Zu dieser Zeit unterschätzt der Verleger die epische Schreibwut seines Zöglings noch.

"Norden, Ethik, Musik, Humor"

Thomas Mann ist von Fischers Vorschlag angetan. Ihm schwebt die autobiografisch angehauchte Geschichte einer wohlhabenden und gesellschaftlich hoch angesehenen Kaufmannsfamilie aus seiner Heimatstadt Lübeck vor – über vier Generationen hinweg, bis zum schleichenden Niedergang. Und er freut sich auf die neue Erfahrung, einen auf Länge hin konzipierten Stoff anzupacken. "Was das eigentlich sei, das Element des Epischen – ich erfuhr es erst, als es mich auf den Wellen dahin trug", wird Mann im Nachhinein notieren. "Was ich selber sei, was ich wolle und nicht wolle, nämlich nicht südliche Schönheit, sondern Norden, Ethik, Musik, Humor, wie ich mich zum Leben verhielt und zum Tode: Ich erfuhr dies alles, indem ich schrieb."

Zwischen Oktober 1896 und Juli 1900 schreibt Mann die "Buddenbrooks": beginnend in Italien, wohin er seinem großen Bruder Heinrich gefolgt ist, später in München, mit akkurater, leicht geneigter Handschrift, auf eng beschriebenen Seiten. Dass auf dem Schreibtisch ein Bildnis Tolstois steht, zeigt, wohin die Reise über die Wellen des Epischen gehen soll: ins Große, Weite, Lange eben. Als Mann das Manuskript im Sommer 1900 sauber verpackt und eigenhändig versiegelt nach Berlin zu Samuel Fischer schickt, ist vom Wunsch des Verlegers zu einem eher kürzeren Roman nichts geblieben.

Der Autor setzt sich durch

Dementsprechend ist Fischers Reaktion: Gut sei das Buch, schreibt er nach München, aber, leider, viel zu lang. "Und so bitte ich Sie, den Umfang Ihres Manuskriptes unseren Möglichkeiten anzupassen." Der damals schon höchst selbstbewusste Mann empfindet diesen Vorschlag als Zumutung. Und bleibt stur. Briefe gehen hin und her, Argumente werden ausgetauscht. Ende März 1901 teilt Fischer dem Autor mit, dass er dessen Willen respektiere. Im Herbst des Jahres erscheint "Buddenbrooks. Verfall einer Familie" in einer Auflage von 1.000 Exemplaren, ob der Fülle in zwei Bänden.

Heute gelten die "Buddenbrooks" als erster deutschsprachiger Gesellschaftsroman von Weltrang. Dass sein Autor 28 Jahre nach seiner Veröffentlichung den Literatur-Nobelpreis erhält, ist vor allem diesem Romandebüt zu verdanken. Dabei liegt die zweibändige Ausgabe nach ihrer Veröffentlichung zunächst wie Blei in den Regalen. "Es sah recht danach aus, als sollten die des Verlegers und meine geheime Skepsis Recht behalten", erinnert sich Mann. "Wie, hieß es, sollten die dicken Wälzer wieder Mode werden? War es nicht die Zeit der Nervosität, der Ungeduld? Die Zeit der kecken künstlerischen Skizze?" Aber schon 1902 bringt Fischer eine preisgünstigere Ausgabe in einem Band heraus. Der Siegeszug der "Buddenbrooks" beginnt.

Stand: 26.02.2016

Programmtipps:

Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.