Dass Alfred Kinsey einmal zum Sexualleben der Menschen forschen würde, ahnt zunächst keiner. Als Zoologe beschäftigt er sich mit Gallwespen – und die vermehren sich ohne Kopulation. 35.000 dieser Fluginsekten untersucht er als Professor an der Universität von Indiana.
Dann wechselt er das Forschungsgebiet, angeblich weil seine Hochzeitsnacht laut einer Anekdote katastrophal verläuft. Alfred Kinsey, geboren am 23. Juni 1894 in Hoboken, New Jersey, beginnt, Kurse über die biologischen Vorgänge im Ehebett anzubieten.
Wie häufig haben Sie feuchte Träume?
Und er stellt schnell fest: Es gibt kaum Erkenntnisse über das Sexualverhalten der Menschen.
Als erster Wissenschaftler überhaupt sammelt er nun in großem Stil Daten. 18.000 US-Amerikaner werden von ihm und seinem Team mit hunderten Fragen traktiert: Wie häufig haben sie feuchte Träume gehabt? In welchem Alter haben Sie das erste Mal jemanden geküsst? Wie steht es um den Oralsex?
Das Ergebnis ist die Studie "Das sexuelle Verhalten des Mannes", der Kinsey-Report, veröffentlicht im Januar 1948. Das Buch gilt als Meilenstein und einer der Auslöser der sexuellen Revolution. "Kinsey hat auf eine akribische, empirische, für damalige Verhältnisse sehr saubere Art und Weise gezeigt, dass das Sexualleben der Menschen wesentlich diverser und vielfältiger ist, als es der offiziellen Moral entsprach", sagt Professor Uwe Sielert, Sexualpädagoge in Kiel.
In Zahlen ausgedrückt bedeutet das: 85 Prozent der Männer haben vorehelichen Geschlechtsverkehr, 70 Prozent gehen in Bordelle, 30 bis 45 Prozent betrügen ihre Ehefrauen, über 90 Prozent befriedigen sich selbst, 37 Prozent schlafen auch mit Männern. Das sagen die Befragten damals zumindest über sich selbst.
Alfred Kinsey kritisiert die Bigotterie seiner Zeit
Obwohl der Kinsey-Report 804 Seiten dick ist und voller trockener Tabellen, wird er zum Bestseller. Fünf Jahre später erscheint der zweite Band, "Das sexuelle Verhalten der Frau".
Alfred Kinseys großer Verdienst ist es, dass die Menschen endlich über Sex reden. "Die Sexualität ist natürlich. Das war sein Credo", sagt Professor Gunter Schmidt, früherer Leiter der Abteilung Sexualforschung am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Und Kinsey kritisiert die Bigotterie seiner Zeit. "Er war empört darüber, dass die Gesellschaft die große bunte Vielfalt und Schönheit der Sexualität auf den heterosexuellen Geschlechtsverkehr in der Ehe beschränkte", erklärt Schmidt.
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