Auf Schloss Salem beginnt jeder Tag mit einem Morgenlauf – seit 100 Jahren, egal ob es regnet oder schneit. Schon Königin Sophia von Spanien, Queen-Gatte Prinz Philip und Golo Mann sind als Schüler am Ufer des Bodensees entlang getrabt.
Gola Mann bereiten Dauerlauf und Hockey zwar wenig Freude, aber der spätere Historiker genießt die freie Lernatmosphäre, als er 1922 nach Salem kommt. Kein Ducken mehr vor den Grausamkeiten der alten Studienräte, wie der 13-Jährige es auf dem Münchner Gymnasium erlebt hat.
Neue Generation mutiger Menschen
Stattdessen stehen die Fächer Freie Rede, Argumentieren, Theater sowie Dienste in der Küche und Handwerken auf dem Stundenplan. Die vielfältigen Beschäftigungen mit sich und der Gemeinschaft sollen aus den Kindern der Adeligen und Oberschicht eine neue Generation verantwortungsbereiter, charakterfester und mutiger Menschen machen.
So wollen es die beiden Schulgründer Max von Baden, letzter Reichskanzler des Kaisers, und sein Privatsekretär, der Pädagoge Kurt Hahn. Am 21. April 1920 beginnt der Unterricht auf Schloss Salem nach den Ideen der Reformpädagogik.
In dir steckt mehr als du glaubst
"Plus est en vous" - in dir steckt mehr als du glaubst, ruft Hahn seinen Schüler immer wieder zu. "Man dachte, auf dem Lande würde man ungestört von allen großstädtischen Dekadenz die Kinder richtig erziehen können", sagt Jürgen Oelkers, Professor für Erziehungswissenschaften.
Die Schüler sollen nicht in entnervender Privilegiertheit aufwachsen. "Dekadenz ist kein Schicksal, Dekadenz ist ein sich Fallenlassen", ist Hahn überzeugt.
Auch 100 Jahre nach der Gründung ist die Ausstattung des Elite-Internats eher karg mit Duschen auf dem Flur und Mehrbettzimmern. "Ich glaube sogar, dass wir den Kindern hier sehr viel zumuten, mehr als man ihnen in ihrer normalen Umgebung zumuten würde", sagt Schulleiter Bernd Westermeyer. Zumutungen, an denen die rund 600 Schüler auch heute noch wachsen sollen.
Teure Ausbildung im Internat
Ebenso alt wie die Schule sind die Vorwürfe, man bilde die Kinder der reichen Oberschicht aus. Immerhin kostet ein Schuljahr mehr als 40.000 Euro im Jahr.
Schulleiter Westermeyer wehrt sich gegen den Vorwurf. Rund ein Viertel der Schüler besuchten das Internat mit einem Stipendium.
Auch Thomas Mann musste einst einen Kredit aufnehmen, um Golo vier Jahre an den Bodensee zu schicken. Der notiert später: "Die Salemer Lehren nahmen eigentlich erst Gestalt in mir an, als ich der Schule schon fern war. Ich war glücklich dort."
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