Stichtag

10. September 1980 - Transsexuellengesetz veröffentlicht

Christian war früher Christina - 54 Jahre lang, bis 2006. Dabei ahnt er schon als Kind, dass etwas nicht stimmt: Sein Körper sieht nach Mädchen aus, aber nach seinem Empfinden ist er ein Junge. Christian Schenk ist transsexuell. So werden Menschen genannt, die sich im falschen Körper geboren fühlen. Für sie ist das ein Problem: Wie können Männer, die sich als Frau, und Frauen, die sich als Männer fühlen, in der zu ihnen passenden Geschlechterrolle leben? Eine Antwort darauf ist das Transsexuellengesetz, das am 10. September 1980 in der Bundesrepublik veröffentlicht und am 1. Januar 1981 in Kraft getreten ist.

Der vollständige Titel der Regelung lautet: "Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen". Wenn nur der Vorname im Ausweis geändert wird, spricht man von der "kleinen Lösung". Nach dieser Änderung behalten die Transsexuellen rechtlich gesehen ihr altes Geschlecht. Entscheidend dafür ist, was in der Geburtsurkunde steht. Wenn diese Eintragung geändert werden soll, ist eine "große Lösung" notwendig: Die Transsexuellen müssen sich operieren lassen.

Karlsruhe kippt Operationszwang

Das Transsexuellengesetz ist jedoch umstritten. Es wird mehrmals vom Bundesverfassungsgericht korrigiert. Im Januar 2011 erklären die Karlsruher Richter sogar wesentliche Bestimmungen des Gesetzes für verfassungswidrig: Die Vorschriften der "großen Lösung" seien unvereinbar mit der Menschenwürde und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit. Die entsprechenden Passagen werden mit sofortiger Wirkung aufgehoben.

Es sei unzumutbar, von einem Transsexuellen zu verlangen, "dass er sich derartigen risikoreichen, mit möglicherweise dauerhaften gesundheitlichen Schäden und Beeinträchtigungen verbundenen Operationen unterzieht, wenn sie medizinisch nicht indiziert sind, um damit die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit seiner Transsexualität unter Beweis zu stellen". Ob Transsexuelle sich dauerhaft und unumkehrbar als Mann oder Frau fühlten, lasse sich zudem nicht allein anhand der operativen Anpassung der Geschlechtsmerkmale feststellen. Vielmehr gehe es um die Frage, "wie konsequent der Transsexuelle in seinem empfundenen Geschlecht lebt und sich in ihm angekommen fühlt".

Kritik an Gutachterzwang und Gerichtsentscheid

Die höchstrichterliche Entscheidung kommt für viele Transsexuelle zu spät. Sei es für die deutsche Entertainerin Romy Haag, die bis 1983 von den Geschlechtsmerkmalen her ein Mann war, oder sei es für den früheren DDR-Bürger Christian Schenk, der sich zur Wendezeit - damals noch als Christina - in der Frauenbewegung engagierte und für das "Bündnis 90" in den gesamtdeutschen Bundestag einzog. Beide mussten sich der alten Regelung unterziehen, um ihr offizielles Geschlecht zu wechseln. "Es gab den Zwang, dass man sich dauerhaft fortpflanzungsunfähig machen lässt - beim Mann die Kastration, bei biologischen Frauen die Entfernung von Gebärmutter und Eierstock", sagt Schenk.

Doch auch nach dem Urteil von 2011 gibt es noch Kritik am Transsexuellengesetz. Denn im Paragraf vier, Absatz drei heißt es sinngemäß: Das Gericht darf einem Antrag nur stattgeben, nachdem es Gutachten von zwei Sachverständigen eingeholt hat. Das bedeutet konkret: Wer sein Geschlecht vor dem Gesetz ändern will, muss zwei Gutachter und einen Richter von seiner Sache überzeugen. Das empfinden viele Betroffene als zu große Hürde. Sie möchten auch von Gutachterzwang und Gerichtsentscheid wegkommen. Einen Gang zum Standesamt halten sie für ausreichend. Im liberalen Skandinavien und im katholisch-konservativen Irland wird das bereits so gehandhabt.

Stand: 10.09.2015

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