Einzelner Keimling der Brike im Moos

Wie gehen Sie mir Ihrer eigenen Verletzlichkeit um?

Er wäre gern völlig frei und autonom, aber der Mensch ist eben nicht nur ein autarkes, sondern auch ein verletzliches Wesen. Da kommt die Angewiesenheit ins Spiel, und damit auch die Anderen. Was bedeutet die Verletzlichkeit für unser Selbstverständnis?

Giovanni Maio

Der Medizinethiker Giovanni Maio

Wir leben in einer Gesellschaft der Machbarkeit, in der unsere Verletzlichkeit ein wenig in Vergessenheit geraten ist. Ein Neben-Effekt der Pandemie war, dass dies wieder deutlicher geworden ist: Wir sind verletzlich, und zwar grundsätzlich. Wir sind verletzlich, weil wir körperliche Wesen sind. Weil wir in einer Bindung zu Anderen stehen. Weil wir stets auch scheitern können. Und weil jederzeit etwas Unvorhergesehenes passieren kann. Diese Gründe der Verletzlichkeit sind Bedingungen des Lebens. Und die Endlichkeit dieses Lebens ist die letzte und radikalste Ursache unserer Verletzlichkeit. "Nimmt man diese fünf Grundbedingungen menschlicher Verletzlichkeit zusammen und bezieht man sie auf die Medizin, so wird deutlich, dass alle fünf Bedingungen sich in der Situation des Krankseins verschärfen", sagt der Medizinethiker Giovanni Maio: Die körperliche Verfasstheit wird bewusster den je. Mit dem Kranksein steigert sich die Angewiesenheit. Hinzu kommt die Angst, alles zu verlieren. Die Kontingenz des Lebens, also seine Zufälligkeit, wird deutlich. Und die Krankheit verweist auf die eigene Sterblichkeit. Die Verletzlichkeit hat philosophisch also sowohl eine grundsätzliche wie auch eine medizinische Bedeutung, und beides spielt zusammen. Das Krankwerden ist eine Lebensform "verdichteter Verletzlichkeit", sagt Giovanni Maio. Und sie ist verbunden mit einem Gefühl der Achtung für die Verletzlichkeit der Anderen, mit denen man in der Verletzlichkeit durch ein gemeinsames Band verbunden ist.

Welche Bedeutung hat die Verletzlichkeit – persönlich und gesellschaftlich? Geht das, autonom zu sein, ohne seine Verletzlichkeit zu verleugnen? Wie sollte eine Ethik der Medizin die Verletzlichkeit integrieren? Wie gehen Sie mit Ihrer Verletzlichkeit um?

Hörer:innen können mitdiskutieren unter 0800 5678 555 oder per Mail unter philo@wdr.de.

Redaktion: Gundi Große

Giovanni Maio: Verletzlichkeit

WDR 5 Das philosophische Radio 04.03.2024 56:30 Min. Verfügbar bis 04.03.2025 WDR 5


Download

Giovanni Maio: Ethik der Verletzlichkeit. Herder Verlag, 2024.

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