12.06.2019 - Rimsky-Korssakov, "Das Märchen vom Zaren Saltan" in Brüssel

Stand: 12.06.2019, 13:50 Uhr

Die Oper ist ein Märchen, das "Märchen vom Zaren Saltan". Märchen sind für Kinder (egal ob erwachsen oder nicht). In der Inszenierung von Dmitri Tcherniakov in Brüssel begibt sich der Zuschauer in die Innenwelt des Prinzen Gvidon, ein traumatisiertes, autistisches Kind, wovon seine Mutter, die Zarin Militrisa, vor Beginn der Oper und vor geschlossenem Zwischenvorhang berichtet. Der Prinz hockt bei ihr und ist seinen unwillkürlichen Zuckungen ausgeliefert. Er wird den ganzen Abend nicht mehr von der Bühne weichen.

Doch was nur wie ein Vorspiel vor dem Vorhang und vor der Musik aussah, bleibt so bestehen. Die Bühnenrealität bleibt karg. Auf dem Boden stehen kleine Spielfiguren und eine Puppe der Schwanenprinzessin, offenbar das einzige Bezugsobjekt des Prinzen. Erst später rückt das Geschehen höchstens ein paar Meter nach hinten, aber es bleibt ein Vorhang.

Dann beginnt das Märchen, die Oper, mit einem Puppenspiel, nur sind die Puppen jetzt menschengroß und gekleidet in russisch folkloristische, pastellfarbene Kostüme. Prinz und Zarin in Alltagskleidung mittendrin. Pantomimisch wird die Geschichte von der Brautwahl des Zaren erzählt, der Intrige der Tante Babarikha und der Schwestern, der Verstoßung von Prinz und Zarin, der Landung auf einer einsamen Insel, dem die Schwanenprinzessin befreienden Bogenschuss, der Auferstehung einer versunkenen Stadt.

Später treten in diesem Märchen-Traum an die Stelle der Puppen schwarz-weiße Zeichnungen, die wie animierte Comics lebendig werden und die kindliche Erlebniswelt des Prinzen verdeutlichen. Und dann als Steigerung taucht man in ein lebendiges 3D-Gemälde einer lieblichen aquarellenen Kinderbuchlandschaft ein, in dessen Mitte sich plötzlich die Schwanenprinzessin bewegt und später, als das Geschehen wieder an den Zarenhof rückt, sieht man die erstarrte Hofgesellschaft wie lebendige Mumien um eine zeichnerisch angedeutete Tafel. Nur die gezeichnete Hummel – "Zar Saltan" ist die Oper mit dem berühmten Hummelflug – erzeugt Unruhe.

So geht das Märchen im schnellen Hin- und Her bis zur Zusammenkunft aller am Ende. Da stehen sich der Vater Zar und der traumatisierte Sohn, jetzt alle in moderner Zivilkleidung, verstört gegenüber. Der Versuch, ein glückliches Ende herbeizuführen, endet mit dem krampfartigen Zusammenbruch des Prinzen.

Dmitri Tcherniakov hat – wie zuletzt schon in Berlin mit Prokofjews "Die Verlobung im Kloster" (WDR 3 Opernblog 14.04.2019) – schon wieder einen neuartigen Theateransatz gefunden. Und zwar mit den Mitteln der Ausstattung, die wie immer von ihm selbst stammt, schickt er seine Hauptfigur, und lässt erklärtermaßen auch Biographisches einfließen, auf eine unruhige Reise, in eine Nacht zwischen Traumbildern und Wachphasen im traurigen Heute.

Diese Hauptfigur ist natürlich der Prinz Gvidon, den der jugendliche Tenor Bogdan Volkov in einer schauspielerischen und sängerischen Meisterleistung verkörpert. Das Emphatische, das siegfriedhaft Ausschweifende zwängt er in eine gekrümmte Person, in deren Kopf – und in unserem - diese Bilder entstehen.

Auch die anderen Rollen finden zu dieser Balance zwischen Entrücktheit und Persönlichkeit: Ante Jerkunica als Zar mit nie aggressiver Bestimmtheit, Olga Kulchynska als Schwanenprinzessin, wie es sich gehört, sirenenhaft in ätherischen Gefilden, Svetlana Aksenova als Zarin immer leicht resignativ, aber doch prononciert. Ja selbst die Schwestern und Carole Wilson als deren intrigante Tante Babarikha sind nicht so recht böse, wie eben Puppen nicht böse sein können.

Alain Altinoglu stützt diese Balanceakte mit dem Orchester, keine geringe Leistung, auch wenn man manchmal das Gefühl hatte, es würde ein bisschen zu viel gedröhnt und zu viel auf der folkloristischen Klaviatur geritten. In Wirklichkeit ist Rimsky-Korssakows Musik vielleicht aber gar nicht so duftig, koloriert und huschend wie der berühmte Hummelflug.

Premiere: 11.06.2019, noch bis zum 29.06.2019

Besetzung:

Zar Saltan: Ante Jerkunica
Zarin Militrisa: Svetlana Aksenova
Tkatchikha: Stine Maria Fischer
Povarikha: Bernarda Bobro
Babarikha: Carole Wilson
Prinz Gwidon: Bogdan Volkov
Schwanenprinzessin: Olga Kulchynska
Der alte Mann: Vasily Gorshkov
Der Narr/Seemann: Alexander Vassiliev
Der Bote/Seemann: Nicky Spence
Seemann: Alexander Kravets

Symphonieorchester und Chor de la Monnaie

Musikalische Leitung: Alain Altinoglu
Inszenierung und Bühnenbild: Dmitri Tcherniakov
Kostüme: Elena Zaytseva
Videos und Licht: Gleb Filshtinsky
Chorleitung: Martino Faggiani