30.03.2020 – Oper in Zeiten von Corona II

Stand: 30.03.2020, 12:25 Uhr

Eigentlich wollte ich Corona-Opern-Netz-Angebote auflisten und empfehlen. Das kommt auch gleich noch. Seit Tagen befasse ich damit und verspüre eine immer größere Unlust, mir Oper im Netz anzuhören und anzuschauen. Mir fehlt das Betreten des Opernhauses, das Dunkelwerden, der erste und der letzte Ton, die Mitanwesenden, seien es Connaisseure oder Banausen, seien es Kollegen oder Liebhaber, seien es Kulinariker oder Nerds. Theater und Oper sind Gemeinschaft und Abgrenzung zugleich. Man schätzt auf einmal, was man sonst nur hinnimmt.

Oper auf dem Bildschirm

ist viel mühseliger als vier Stunden Wagner im Opernhaus. Operavision.eu ist eine wirklich schön aufbereitete Website, auf der auch die Deutsche Oper am Rhein mit Händels "Serse" vertreten ist.

Auf Operavision kann man durch Europa flanieren z. B. nach Garsington, einem kleinen Opernfestival zwischen London und Oxford und sich in die "Verkaufte Braut" einklinken. Aber wie bieder und vorhersehbar langweilig ist die Inszenierung, trotz der aufwändigen, detailreichen Bühnenausstattung, trotz der respektablen Gesangsleistungen. Es macht trotzdem keinen Spaß am Bildschirm. Wie gerne wäre ich in Garsington live dabei gewesen und hätte dann zurecht (!) wohlwollend rezensiert.

Opera Pavilion beim Garsington Opera Festival | Bildquelle: Stephen Wrigth

Sind Opern am Bildschirm in Corona-Zeiten also hauptsächlich nur Ausdruck guter Absichten. Nein, denn dann müsste man auch alle CD-und DVD-Aufnahmen so empfinden, ja alle gespeicherte Musik. Man weiß aber doch, dass z. B. die Popmusik - fast mehr noch als im Live-Konzert - ihren Wesenskern in der Schallplatte trägt. Plattensammeln und Plattenhören ist mehr als Rubrizieren und Katalogisieren.

Den "Ring des Nibelungen" erarbeiten

In den 80er-Jahren habe ich mir Wagners "Ring des Nibelungen" mit der Aufnahme von Georg Solti erarbeitet und dem Buch Robert Donington. Das ging über mehrere Wochen. Ich hatte in keinem Moment das Gefühl, etwas Defizitäres zu tun. Dieses Erarbeiten war mir so wertvoll wie Jean-Pierre Ponnelles "Ring"-Inszenierung an der Stuttgarter Staatsoper, die darauf folgte. Und wie gelang es eigentlich den Musikschriftstellern im 19. Jahrhundert wie Hoffmann oder Hanslick sich in Begeisterung zu schreiben, wo sie nur die Noten hatten. Ich kenne Kollegen, die von einer Met-Übertragung im Kino so emphatisch berichten, als wären sie in New York gewesen. Das ist die Frage der Teilhabe. Dem Theaterwissenschaftler Klaus Lazarowicz bezeichnet dies als "Zuschaukunst" des Publikums. Der Zuschauer ist ein echter Koproduzent neben Autor und Darsteller.

Zuschaukunst

In diese Publikums-Produzentenrolle, diese Teilhabe kann man aber auf unterschiedliche Weise kommen. Am einfachsten, wenn man im Theater oder Opernhaus sitzt. Da kann man nicht anders als dabei zu sein, außer durch Wegdämmern (was aber auch noch eine Art von teilhabender Erfahrung ist). Merkwürdigerweise wird diese Teilhabe durch die bloße Anwesenheit des Sitznachbarn stimuliert. Eine Ahnung davon gewinnt man, wenn bei einem Opern-Video beim Schlussapplaus in die Zuschauerreihen geschwenkt wird und man die Gesichtsregungen der Menschen sieht, die man live ja gar nicht bemerkt.

Passiv-produktiv

In diese Teilhabe kann man aber auch durch eine Art von Kontemplation kommen, Hanslick und Hoffmann durch die Klangimagination beim Partiturstudium. Aber auch das ausschließliche Hören (in einer gewissen Lautstärke) von Opern (wie von Popmusik) ist mitproduzierende Teilhabe. Es muss eine Art von Umhüllung geschehen. Man kann sich dann die "Freischütz"- Aufnahme mit Carlos Kleiber bemächtigen lassen. Doch wie kann dies bei einem Opern-Stream am kleinen Tablet-Bildschirm gelingen, der eher Distanzierung als Teilhabe erzeugt: immer dann, wenn der Bildstrom eine Transferleistung im Geiste stimuliert. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man auch von der DIN A4 großen Zweidimensionalität eines Opernereignisses profitieren kann, mehr als nur in Form eines Opern-Protokoll. Aber nur durch die Anstrengung einer Verlagerung weg vom Medium. Demgegenüber ist das Schöne im Theater, dass man produktiv in der Passivität sein kann - wie von selbst Teil des Ganzen.

Und hier ist eine kleine Auswahl von Oper im Netz.

Operavision ist eine von der EU gefördertes Projekt mit Streams aus 29 europäischen Häusern. Die Deutsche Oper am Rhein ist mit Händels "Serse" in der Regie von Stefan Herheim dabei.

Sympathisch, unaufwändig ist der Couchtheater-Spielplan des Theaters Hagen u.a. mit Gerneralprobenmitschnitten im Wochenrhythmus, z.B. "Zar und Zimmermann" in einer textmäßig aktualisierten komödiantischen Fassung, in der der Plot aus dem Holland Ende des 17. Jahrhunderts in das Brexit- und Populistenzeitalter verlegt wird

Hochglanz-Produktionen gibt es im digitalen Spielplan der Staatsoper Berlin, der tätlich wechselt. Ich schaue mir auf jeden Fall an am 3.4. Rameaus "Hippolyte et Aricie" von Rameau mit Simon Rattle und in der Ausstattung des Stararchitekten Ólafur Elíasson an und vielleicht noch am 6.4. "Tannhäuser" in der Regie der Choreographin Sasha Waltz.

Die New Yorker Metropolitan Opera hat täglich ein wechselndes Angebot aus ihrem Archiv.

Einige interessante Opern und musiktheatralische Aufführungen gibt es auch bei Arte, z. B. Mozarts Requiem in der szenischen Umsetzung von Romeo Castellucci aus Aix-en-Provence.

Und im Radio wie immer am Sonntagabend: WDR 3 Oper