Die Oper handelt von dem Ritter Ruggiero, der von der Zauberin Alcina betört wurde. Melissa versucht, Ruggiero zu seiner rechtmäßigen Verlobten zurückzubringen und erinnert ihn an seine Ritterpflichten. Der Stoff stammt aus Ariosts Epos „Orlando furioso“ und Francesca Caccini hat das Stück im Stil ihrer Zeit, dem damals neuen rezitativischen Gesang vertont. Das heute dem Publikum zu vermitteln, ist keine ganz einfache Sache, denn dieser Musikstil kann leicht eintönig wirken. In Wuppertal wurde unter Leitung des Alte-Musik-Experten Clemens Flick aber rhetorisch packend und klanglich vielfältig musiziert und gesungen.
Digital ist diese Inszenierung nur zum Teil, bzw. das Digitale war die Voraussetzung dafür, dass der Zuschauer so dicht wie nirgendwo sonst im Theater an die Darsteller herangebracht wurde. Zu Beginn schreitet das Publikum über eine Brücke in den Bühnenraum und schaut über eine Brüstung nach unten auf eine Art archäologische Anlage. Bald wird diese hochgefahren, und man befindet sich plötzlich mitten in einem Labyrinth, in dem die Figuren, Alcina, Ruggiero und Melissa sowie ihre Gefährten agieren. Aber nur selten treffen die Protagonisten in einer Zelle des Labyrinths aufeinander.
Damit wir, das Publikum, in diesem Labyrinth die Orientierung nicht verlieren, müssen wir uns digital anseilen, und zwar mit einer eigens für diese Aufführung hergestellten App, die jeder Besucher aktiviert. Dort erfährt man, was gerade gesungen wird (man könnte von digitalen Übertiteln sprechen) und was in den anderen Zellen passiert. Man könnte sogar, wenn man wollte, sich selbst auf dieser App sichtbar machen, denn man ist ja selbst mittendrin.
Hinter dieser Inszenierung steht eine theatrale Idee und nicht nur eine digitale Spielerei. Zwar könnte man sagen, dass Theater immer die Rampe, also die Distanz benötigt, damit man als Zuschauer in eine andere Welt eintauchen kann. Stehe ich direkt neben einem singenden Darsteller, bin ich ihm nur scheinbar näher, erlebe ihn nicht in seiner Rolle, sondern als Nebenmann oder Nebenfrau. Aber genau mit dieser Spannung wird gespielt. Die Bilder der App erzeugen einen zweiten Theaterraum, obwohl man sich mitten im ersten befindet. Allein schon, dass an die 200 Menschen mit Smartphones sich in den dunklen Zellen bewegen, sieht aus wie eine theatralische Installation. Und man wird selbst zum Mitwirkenden, denn man fängt selbst an zu filmen und zu fotografieren, wird fast zu einem Bewohner von Alcinas Insel und sogar von der schwarzen Theaterasche, die von oben kommt, beregnet.
Zwar bricht die Spannungskurve irgendwann ab. Aber das Stück dauert gerade mal 70 Minuten und kommt rechtzeitig zum Ende, und zwar in dem Moment, in dem dieses Labyrinth nach oben gezogen wird und Zuschauer wie Darsteller verloren auf dem schwarzen Bühnenboden stehen. Befreit von Alcinas Zauberkünsten hat sich nur Chor, der grinsend singend im hell erleuchteten Parkett sitzt.
Premiere: 20.04.2018, weitere Vorstellungen bis zum 14.07.2018
Besetzung:
Alcina, Dama Disincantata: Ralitsa Ralinova
Melissa: Joyce Tripiciano
Ruggiero: Simon Stricker
Nettuno, Pastore: Sangmin Jeon:
Vistula: Mark Bowman-Hester
1. Damigella Sirena, Nunzia: Nina Koufochristou
Chor der Wuppertaler Bühnen
Sinfonieorchester Wuppertal
Clemens Flick: Musikalische Leitung
›AGORA‹: Musiktheater-Kollektiv
Benjamin David: Regie
Anna Brunnlechner: Co-Regie
Valentin Köhler: Bühne/Kostüm
Markus Baisch: Chor
Jana Beckmann: Dramaturgie