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Jetzt läuft: Dis-moi que tu m'aimes (modular version) von Zaho de Sagazan
Bukahara

COSMO Musikspecial

Musik-Jahresrückblick 2023: Alben des Jahres - Protest, Party und Hoffnung

Stand: 12.12.2023, 10:57 Uhr

Ob aufstrebende Newcomerin, etablierte Stadionfüller oder Global-Pop-Quartett – sie alle teilen ihre Gedanken und zeichnen die großen Linien ihrer Kunst im Albumformat. Und daran hat es in 2023 nicht gemangelt. Hier sind die Lieblingsplatten des Jahres der COSMO Musikredaktion.

Bukahara – "Tales Of The Tides"

2023 war das Jahr von Bukahara – vom Geheimtipp und Lieblings-Act zu ausverkauften Hallen und vielen neuen Fans, die Soufian Zoghlami, Max von Einem, Ahmed Eid und Daniel Avi Schneider mit ihrer Musik glücklich machen. Das Release-Konzert ihres neuen Albums hat das Global-Pop-Quartett im Frühjahr mit einer COSMO-Radioübertragung begossen. Auf "Tales Of The Tides" zeigt sich die Band nach der Corona-Zwangspause so klar wie nie zuvor. Der Sound der Multiinstrumentalisten ist raffiniert und reduziert, das gibt den Geschichten von Sänger Soufian Zoghlami viel Raum zu wirken. Es geht auch textlich um das Wesentliche:Klimawandel, gesellschaftliche Spaltung, Rassismus und soziale Ungerechtigkeit. Dabei bleibt es bei Bukahara immer hoffnungsvoll. "Tales Of The Tides" ist ein erdiges Werk ohne Knalleffekte, das zum Träumen einlädt und zur Reflektion auffordert.

Sofia Kourtesis - "Madres"

Neurochirurgie, Protestgesänge, Deep House und Mutterliebe - all das gibt es auf dem Debüt "Madres" der peruanischen Produzentin Sofia Kourtesis. Das Album der Wahlberlinerin ist ein Manifest der Freude, nachdem ihre Mutter eine schwierige Gehirn-Operation überlebt hat. Dem behandelnden Neurochirurgen "Vajkoczy" hat sie sogar einen hypnotischen Club-Hit mit verspieltem R2D2-Gepiepse gewidmet. Und in "Estación Esperanza" sampelt sie neben Protestgesängen aus den Straßen Limas auch ihren Global Pop-Helden Manu Chao. Sofia verbindet die Wärme ihrer südamerikanischen Heimat mit Berliner Techno-Präzision und erschafft ein verträumt blubberndes Soundaquarium, das sowohl Zuhause als auch im Strobogewitter funktioniert. "Madres" ist ein Album, das sich anfühlt wie diese eine Umarmung, die die Nacht im Club noch schöner macht.

Burna Boy - "I Told Them"

James Brown, Bob Marley, Burna Boy. Ist es zu hoch gegriffen, den Nigerianer in eine Linie mit diesen Koryphäen zu stellen? Nö. Der Nigerianer liefert mit "I Told Them" ein Album für die Ewigkeit. R&B-Melodien, slicke Afrobeats und die unverkennbare Brummbär-Stimme fusionieren zu einer treffsicheren Mischung, die auf den Straßen von Lagos genauso gut ankommt wie in den Clubs der Metropolen – und auch im Friseur-Salon für gute Vibes sorgt. Burna samplet in "Sitting On Top Of The World" 90er R&B von Brandy, geht mit den Tanzsteps zu "City Boys" viral und liefert mit "Giza" einen durchgeknallten Amapiano-Track, inspiriert vom Hypesound aus Südafrika. "I Told Them" macht aus dem African Giant endgültig einen Worldwide Giant.

Fatoumata Diawara - "London Ko"

Auf ihrem dritten Longplayer "London Ko" überschreitet die malische Sängerin, Gitarristin und Schauspielerin Fatoumata Diawara ihren Musik-Kosmos in neue Sphären. Nachdem sie auf den vorherigen Alben meistens alleine zu hören war, setzt sie nun auf internationale Kollaborationen. Als Produzenten sind Damon Albarn und der französische Superster -M- involviert, mit denen sie auch Duette singt. Mit Yemi Alade schlägt sie eine Brücke zwischen modernen Afrobeats und Mali-Blues. Mit dem Pianisten Roberto Fonseca vom Buena Vista Social Club verbindet sie Westafrika und Kuba. Inhaltlich überzeugt Fatoumata Diawara mit sozialkritischen Texten in ihrer Muttersprache Bambara. In "Sete" thematisiert sie weibliche Genitalverstümmlung, in "Massa Den" singt sie gegen Zwangsheirat und arrangierte Ehen und für die Freiheit der Liebe. Der Titel "London Ko" vermischt die Musikmetropolen London und Bamako, ein passender Name für ein grenzenloses Album einer engagierten Weltbürgerin.

Karol G - "Mañana Será Bonito"

"Mañana Será Bonito" heißt soviel wie "Morgen wird es schön", doch für Karol G sieht nicht es schon heute muy bonito aus. Seit ihrem Durchbruch 2017 sammelt die Kolumbianerin Awards, Milliarden von Klicks und performt in ausverkauften Stadien. Ihr viertes Album landete direkt an der Spitze der Billboard Charts, da ist es nur passend, dass es mit einem Sample aus "Don't Worry Be Happy" startet. Die Reggaeton-Sängerin erweitert ihren Kosmos mit Ausflügen in Richtung 80er Rock ("Tus Gafitos") , R&B ("Mercurio"), sehnsüchtserfüllte Akustikmomente ("Gucci Los Panos") runden das Ganze ab. Auf "Karmika" feiert sie mit Sean Paul in Jamaika, und mit Latin-Ikone Shakira rechnet sie mit nervigen Ex-Typen ab. Ein Hochglanz-Global-Pop-Ereignis, dass eindrucksvoll zeigt, wie Reggaeton die Welt erobert hat.

HONOURABLE MENTION

Zaho de Sagazan - "La symphonie des éclairs"

Debüt des Jahres: Als ob Edith Piaf und Depeche Mode ein Kind bekommen hätten, auf das Charlotte Gainsbourg als Babysitterin aufpasst. Der französische Shooting Star Zaho de Sagazan nimmt uns mit in ein Gedankengeflecht aus Sehnsucht, Verzweiflung und Liebeskummer. Auf Basis von unterkühltem 80er Synthiepop und schwermütigen Chansonmelodien am Piano trägt die 23-jährige Französin ihre Weltschmerz-Lyrik vor, die sie hin und wieder mit beißender Ironie auflockert. Zaho schwärmt in "Les Garcons" erst von süßen Typen, dann vermisst sie ihren Ex. In "Tristesse" versucht sie der Melancholie zu entfliehen und bezeichnet sich selbstbewusst als "Puppenspielerin", doch in ihrem dramatischen Vortrag kündigt sich schon die nächste Krise an. Die "Symphonie der Blitze" klingt tatsächlich wie eine Gewitternacht, in der sich zwischenmenschliche Spannungen auf virtuose Art entladen.

Peter Fox - "Love Songs"

Comeback des Jahres: Peter Fox mit "Love Songs". Das Album ist sein erstes Solowerk seit 2008 und kommt viel leichtfüßiger daher als noch das opulent orchestrierte "Stadtaffe". Schon mit der ersten Single "Zukunft Pink" aktiviert Fox das utopische Potenzial von Pop in Perfektion. Er fordert bezahlbaren Wohnraum, eine gerechtere Vermögensverteilung und Queer-Freundlichkeit, Elon Musik bekommt den Stinkefinger, und musikalisch basiert der Ohrwurm auf dem südafrikanischen Trend Amapiano - incl. Remix mit afrodeutschen Artists. "Love Songs" setzt auf positive Botschaften, altersgerechte Perspektiven und ein untrügliches Gespür für aktuelle Clubsounds. Die Fusion aus Afrobeats, Dancehall, Trap und Jersey Club verschmilzt zu einer weltoffenen Party über den Dächern Berlins. Und Adriano Celentano kommt auch noch auf einen Grappa vorbei.