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Seu Jorge zündet sich eine Zigarette an

Vom Straßenkind zum Star

Seu Jorge

Stand: 15.03.2021, 15:28 Uhr

Seu Jorge ist ein Sänger und Songwriter, der mit seinem brummigen Bariton den brasilianischen Samba-Funk der 60er und 70er auf originelle Weise wieder belebt hat.

Vom Straßenkind zum gefeierten Musik- und Filmstar - die Vita des Samba-Musikers aus Rios Vorort Belford Roxo hört sich wie eine Abenteuergeschichte an, der man atemlos lauscht. 1970 wird unser Held geboren. Mit Gelegenheitsjobs schlägt er sich als Halbstarker zunächst durch: Er verdingt sich als Reifenflicker, Uhrmacher, Schreiner oder Laufbursche, steuert abends immer wieder die Funk-Discos an, die im Rio der Achtziger die Tanzwütigen in ihren Bann ziehen. Schon früh ist dem Burschen klar: Eines Tages will er Sambista sein. Als Sänger in den Bars von Rios Nordzone hat Jorge schon zum Sprung in den Musikbusiness angesetzt, als die Tragödie passiert. Sein Bruder wird bei einem Scharmützel mit der Polizei in der Bäckerei des Viertels getötet. Daraufhin zerfällt die Familie und er hat kein Dach mehr über dem Kopf. Jahrelang irrt er durch die Straßen von Rio. Der Klarinettist Paulo Moura entdeckt ihn und seine charakteristische, bärbeißige Stimme, die trotz aller Bitterkeit nie die Freude am Gesang verloren hat, schließlich für eine musikalische Revue, die sehr erfolgreich wird. Ermutigt durch den Erfolg gründet Seu Jorge die Gruppe Farofa Carioca, in der Samba, Reggae, Rap und Funk zu einem einmaligen Musiktheater verwoben werden.

Moro No Brasil

Ihre CD Moro No Brasil wird international beachtet und Jorge findet Eingang sowohl in die Samba- als auch die HipHop-Szene Rios. Mit Mario Caldato, dem Produzenten der Beastie Boys nimmt er sein erstes Solo-Album in Angriff: Auf Carolina feiert er den Samba in seinen verschiedensten Ausprägungen, mal funky, mit lärmenden Blechbläsern, mal in intimer, bittersüßer Straßenpoesie. Doch der Komponist, Sänger, Gitarrist, Poet und Produzent hat noch ein weiteres Eisen im Feuer: Das Zelluloid. Er schreibt nicht nur Filmmusikern für die berühmtesten Regisseure Brasiliens, sondern steht auch selbst vor der Kamera. Seine bekannteste Rolle ist wohl die des Mané in "Cidade de Deus" ("City Of God"), Fernando Meirelles' harter Milieustudie aus den Favelas von Rio.

Held der brasilianischen Popmusik

2004 folgt mit CRU das mit dem Franzosen Jerome Pigeon aufgenommene zweite Solo-Album. Der Sambista entwickelt sich zum Weltstar. Die Konzertstrecke in den USA ist ausverkauft, er kann Stars wie Bill Murrey für seine Musikvideos gewinnen und die europäische Fachpresse feiert Jorge als den neuen Helden populärer brasilianischer Musik. 2008 erscheint América Brasil O Disco und erlaubt dem Sänger eine zweijährige Tournee rund um den Globus. 2010 folgt der nächste Geniestreich: Seu Jorge & Almaz. Das Album besteht ausschließlich aus Cover-Versionen: Vorwiegend von brasilianische In-Tunes von Tim Maia, Paula Lima, oder Baden Powell, aber auch Welthits von Kraftwerk oder Michael Jackson finden sich in der Liste. Die meisten dieser Stücke stammen aus den siebziger Jahren und werden von Seu Jorge und Almaz kräftig mit Space-Appeal aufgeladen und gegen den Strich gebürstet. Mit sphärischer Percussion, einem geradezu geisterhaft grummelnden Bass, schwebenden Gitarrenakkorden und unwirklichen Hall-Effekten zaubert die Formation berückende Space-Balladen hervor. Músicas para Churrasco Vol.1 (übersetzt: Songs für Grillparties) folgt bereits ein Jahr später. Es ist eine Art Konzeptalbum; wie eine Telenovela im Songformat. Seu Jorge nimmt die Hörer mit in den Alltag der Favelas: Jeder Song lebt von einem oder mehreren Individuen, die der Sänger mit viel Ironie, aber auch viel Liebe beschreibt. Man fühlt sich wie in einem Wohnblock mit vielen verschiedenen Parteien. Stilistisch hat der Samba-Innovator mit den Dreadlocks auf seiner fünften CD alle Hemmungen abgelegt und frönt seiner retro-futuristischen Siebziger-Jahre-Manie. Brasiliens Musikprominenz ist sich einig: Niemand hat die Vergangenheit des Samba mit der Straßenkultur von heute so authentisch, so integer zusammengeführt wie diese erstaunliche Musiker-Schauspieler-Persönlichkeit.

Diskografie:

  • Samba Esporte Fino (2001, Regata Musica)
  • Cru (2004, Naïve)
  • The Life Aquatic Studio Sessions (2005, Hollywood Records)
  • Ao vivo (2006, Sony)
  • América Brasil o Disco (2008, EMI)
  • Seu Jorge And Almaz (2010, Now-Again Records)
  • Música Para Churrasco Vol. 1 (2011, Cafuné)
  • Música Para Churrasco Vol. 2 (2015, Cafuné)
  • Night Dreamer Direct To Disc Sessions (2020, Night Dreamer)