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Werkeinführung: Bernd Alois Zimmermann - Konzert für Violine und Orchester

Von Martina Seeber

Bernd Alois Zimmermann, Aufnahme von ca. 1970

Bernd Alois Zimmermann, Aufnahme von ca. 1970.

Mönch oder Dionysos? – Der Kölner Komponist Bernd Alois Zimmermann verstand sich als eine "sehr rheinische Mischung" aus beidem. Schließlich bedeutet "rheinisch", Gegensätze nicht nur auszuhalten, sondern zu leben. In Zimmermanns Violinkonzert prallen Welten aufeinander: beschwingte Rumba-Rhythmen und das "Dies Irae" aus der Totenmesse.

Ein Urknall. Das erste und einzige Violinkonzert des 1918 geborenen Kölners beginnt mit einem Schlag, der geballte Materie freisetzt. Auf den Einsatz der Solovioline wird nicht lange gewartet. Ihre erste Geste wird herausgeschleudert, springt aberwitzig in die Höhe, ein Triller, ein zweiter, ein dritter Anlauf. Schlagzeug, Klavier, Celesta und Blechbläser dominieren das groß besetzte Orchester. Zur selben Zeit, als die Wortführer der Nachkriegsavantgarde dem gefühlsgeleiteten Ausdruck abschwören und so gut wie jede klangliche Äußerung einem strengen Regime unterwerfen, das über Tonhöhen, Dauern, Geschwindigkeiten und Rhythmen entscheidet, stellt Bernd Alois Zimmermann klar, dass sich hier ein Subjekt Ausdruck verschafft. An den hitzigen musikalischen Debatten der frühen Nachkriegszeit, die seit 1946 bei den Darmstädter Ferienkursen ausgetragen wurden, nimmt Zimmermann allerdings regen Anteil. Und auch hier reagiert er "rheinisch", indem er aus Widersprüchen Funken schlägt. Im 1950 fertiggestellten Violinkonzert konfrontiert er sein subjektives Ausdrucksbedürfnis mit der objektivierten Organisation des Tonmaterials nach der Reihentechnik. So relativiert er denn auch gleich, seine "Verwendung dodekaphonischer Mittel" sei eine "vom Üblichen abweichende". Tatsächlich lassen sich in den drei Sätzen zwar vereinzelt Zwölftonreihen nachweisen, jedoch nicht als alles bestimmendes Gestaltungsprinzip. Ohnehin lässt sich die Idee der Sonate mit ihren zwei kontrastierenden, sich entwickelnden und in der Reprise versöhnenden Themen kaum mit der Zwölftontechnik in Einklang bringen. Der Kopfsatz, "Sonata", unterliege deshalb auch nur einer "Art Sonatenform", wie Zimmermann seinen Versuch erklärt, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen: nämlich mit einer einzigen Reihe aus zwölf unterschiedlichen Tönen der chromatischen Skala zu arbeiten, ohne das bewährte Sonatenprinzip ganz und gar aufzugeben.

Atemlose Jagd

Mit dem Abzählen von Zwölftonreihen ist diesem Violinkonzert also nicht beizukommen, auf die tradierten Satzformen ist schon etwas mehr Verlass. Die beiden kontrastierenden Themen – das erste sanglich und expressiv, das zweite tänzerisch – markieren die Extreme, zwischen denen sich das Geschehen im ersten Satz abspielt.

Im Mittelsatz, "Fantasia" – Zimmermann nennt sie eine "ins Sinfonische geweitete Großkadenz" –, entfaltet die Violine eine lange Melodie. Sanglich ist sie mit ihren weiten Sprüngen und den schwer zu greifenden Intervallen allerdings nicht. Sie entfaltet sich vielmehr gegen den eigenen Widerstand und auch gegen den des Orchesters, mal im Vordergrund, mal auch in dessen Schatten. Dreimal zitiert der gläubige Katholik Zimmermann in diesem längsten der drei Sätze das "Dies Irae", die Anfangstöne jenes gregorianischen Chorals, der das Jüngste Gericht ankündigt. In zweien seiner Schlüsselwerke, der Oper "Die Soldaten" und der "Musique pour les soupers du Roi Ubu", wird er das unverkennbare Motiv des "Dies Irae" erneut zitieren.

Von mystischer Versenkung weit entfernt, wild, aber noch immer in der apokalyptischen Stimmung der "Fantasia", beginnt der dritte Satz, ein Rondo. Über dem Wechsel zwischen den klar kontrastierenden Teilen Allegro und Tempo di Rumba steigern sich die spieltechnischen Herausforderungen an das Soloinstrument, aufgepeitscht vom Orchester, vor allem vom stark besetzten Schlagwerk. Zur Ruhe oder gar an ein erlösendes Ende kommt die Violine mit ihren auf- und abstürzenden Figurationen nie. Wie mit einer Schere beendet der Schlussakkord die atemlose Jagd.