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Der Klarinettist und Komponist Jörg Widmann

Werkeinführung: Werke von Jörg Widmann

Stand: 26.09.2021, 08:00 Uhr

Von Tilla Clüsserath

Komponieren, Dirigieren, Interpretieren

Jörg Widmann, "Artist in Residence" des WDR Sinfonieorchesters nunmehr in der dritten Saison, ist ein international äußerst gefragter Komponist, Dirigent und Klarinettist – als Solist ebenso wie als Kammermusiker. Die Klarinette erkor Widmann im Alter von sieben Jahren zu seinem Lieblingsinstrument. Von ihr ist der Musiker anhaltend fasziniert und erforscht unermüdlich ihr ungeahntes Klangpotential. Die in der ersten Konzerthälfte zu hörenden Kompositionen Widmanns – vom Solostück bis zum achtstimmigen Werk – zeigen ihn als einen Akteur, der die Extreme liebt und sucht. Immer wieder vermag er das Publikum mit entfesselten Emotionen zu überraschen. Spieltechnische Grenzen werden ausgetestet und überschritten: "Das Schwitzen der Virtuosen lässt mich nicht kalt. Ich möchte es sogar herausstellen", so der Komponist. Dass bei alledem in seinen Werken ein musikantisches Feuer brennt, erklärt hinreichend Widmanns Renommee als vielfach aufgeführter zeitgenössischer Tonsetzer.

Vergangenheit und Gegenwart

Das Oktett, 2004 im Auftrag des Kammermusikfests "Spannungen" in Heimbach/Eifel entstanden, ist ein prominentes Beispiel für Widmanns Umgang mit der Tradition, die er als Quelle steter Auseinandersetzung begreift. Die Bläser-Streicher-Besetzung orientiert sich nicht nur an Franz Schuberts berühmten Oktett D 803. Widmann ruft auch im Tonfall und im emotionalen Gestus Assoziationen an klassische Vorbilder, deren Reichtum er wertschätzt, wach – und dementiert diese sogleich wieder. Auf diese Weise treibt der Komponist sein Spiel mit den Hörerwartungen des Publikums und führt die "fabelhafte Spur" der Musik vergangener Jahrhunderte mitten hinein in die Gegenwart.

Vom großbesetzten Oktett zum klassischen Dialog von Violine und Cello: in den 24 Duos stellt sich Jörg Widmann nach eigener Aussage der "Ungeschütztheit und Reduziertheit" dieser besonderen Konstellation. Die Sammlung entstand 2008 in Dubai. In der sogenannten "Heidelberger Fassung", einst von Jörg Widmann für das Musikfest "Heidelberger Frühling" zusammengestellt, wählte er aus der Sammlung fünf Stücke höchst unterschiedlichen Charakters aus. So drückt er etwa im Lamento, ursprünglich ein barocker Klagegesang, durch Verwendung von "schmerzenden" Vierteltönen Enge und existentielle Not aus. Skurriler Witz zeigt sich dagegen im Valse bavaroise, in dem der Münchner Jörg Widmann aus dem fernen Dubai mit einem Gefühl von Heimweh augenzwinkernd gen Bayern blickt.

Rhythmik, Virtuosität, Abgründigkeit

180 beats per minute ist eine frühe Komposition aus dem Jahr 1993, geschrieben vom 20jährigen Jörg Widmann. Das Streichsextett hat bis heute nichts von seiner Faszination eingebüßt und jagt – inspiriert von den schnellen Beats des Techno – mit hoher Pulsfrequenz (180 Schläge pro Minute) vorüber. "Das Werk will nicht mehr sein, als es ist – pure Lust am Rhythmus", so der Komponist. Die renommierte Geigerin Isabelle Faust hob beim Cheltenham Festival 2001 die Étude II aus der Taufe. Ein Stück, das neuartige Klangerzeugungsmöglichkeiten ebenso verlangt wie gleichzeitig zu spielen und zu singen. Laut Widmann durchläuft die Étude II eine "Reise von einem dreistimmigen Choral bis hin zu wild entfesselter Virtuosität". Das Air für Horn solo entstand 2005 als Pflichtstück für den 54. Internationalen ARD-Musikwettbewerb. Der Begriff "Air" als "Luft" oder in seiner traditionellen Bedeutung als "Melodie" wird hier in Form von ausschwingenden, gesanglichen Partien ernst genommen. Der Bayerisch-babylonische Marsch entstammt dem Klavierzyklus "Zirkustänze", komponiert 2012. Das Stück ist eine unverhohlene Parodie auf den "Bayerischen Defiliermarsch" und als Zugabenstück geeignet, obwohl seine Stimmung zugleich heiter und bedrohlich wirkt.