Wagner, das musikdramatische Genie. Soweit die offizielle Lesart. Und: Wagner, der Komponist schier endloser Monologe und Dialoge, die das Publikum regelrecht zu einem Nickerchen zwingen. Soweit die Erfahrung nicht weniger Opernbesucher:innen. Das Sinnieren über zwischenmenschliche Gefühle und philosophische Fragestellungen gewinnen in Wagners Meisterwerken "Tristan und Isolde" und "Parsifal" gegenüber den realen Phänomenen die Oberhand. In keiner seiner Opern reduzierte er die äußere Handlung zugunsten der inneren, psychologischen Handlung so intensiv wie im "Tristan". Dabei bieten die Vorlagen, auf denen diese Oper beruht, Action pur: etwa diverse Kämpfe mit einem Drachen oder einem Riesen. Nichts davon hat Wagner übernommen. Ihm geht es um die zwischenmenschliche Essenz, die idealisierte Liebe zwischen Tristan und Isolde – und um das Hoffen darauf, sie im Hier und Jetzt verwirklichen zu können. Die Erkenntnis zum Schluss der drei Akte: Ein irdisches Glück ist unmöglich, aber in der überhöhten Utopie vereinen sich die beiden Liebenden in vollendeter Harmonie. Genau das erzählt die Musik: Kein Komponist vor Wagner – und keiner nach ihm – hat Liebessehnen und -leid so wahrhaftig in Musik umzuschmelzen verstanden wie der Bayreuther Meister.
Die Inspiration für dieses Werk ist so romantisch wie banal: Wagner selbst hatte sich tristangleich in Mathilde Wesendonck verliebt, einer geistreichen, anmutigen und ebenso wohlhabenden Kaufmannsgattin. Trotz allen Hoffens auf ein gemeinsames Glück ist im Grunde schon zu Beginn dieser Liaison klar: Sie wird nicht auf Dauer zu realisieren sein. Als Wagner seine Muse kennenlernt, schreibt er in einem Rutsch das Textbuch zu "Tristan und Isolde". Wie im Rausch komponiert er innerhalb von zwei Jahren die komplexe Partitur dieser Oper. Wie geahnt, endet Wagners Verhältnis mit Mathilde – aber freilich weniger tragisch und verklärt als die Liebe zwischen Tristan und Isolde in seinem Musikdrama. Die Essenz dieses auskomponierten Liebessehnens umklammert das Werk, beginnend mit dem Orchestervorspiel und schließlich mündend in "Isoldes Liebestod".