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Porträt von Richard Strauss

Werkeinführung: Richard Strauss - "Malven" und "Vier letzte Lieder"

Von Kerstin Schüssler-Bach

Als Kollegen waren Richard Strauss und Gustav Mahler zwar nicht eng befreundet, aber sie schätzten sich sehr. Der vier Jahre jüngere Strauss hat Mahler um 38 Jahre überlebt. Beide setzten sich in ihren letzten vollendeten Werken mit dem Sterben auseinander und fanden – bei aller Verschiedenheit – zu einem schwebenden Abgesang auf Unwiederbringliches.

Eine wilde Malve blüht in einem Beet.

Malven existieren in nahezu 30 verschiedenen Arten.

Im Schweizer Exil komponierte Strauss 1947 und 1948 die "Vier letzten Lieder" als klangprächtige Rückschau auf eine versunkene Zeit. Aber der 84-Jährige schrieb danach noch ein Lied: "Malven", vollendet im November 1948. Ein Gedicht der Schweizer Autorin Betty Knobel hat ein allerletztes Mal Strauss’ Inspiration entzündet. Mit langen Melodiebögen wird die "duftlose" Schönheit der verwehenden Malvenblüten besungen – ein letzter Gruß an die Nachwelt, aber auch an eine besondere Sängerin: Maria Jeritza, einstige Protagonistin in den Opern "Ariadne auf Naxos" und "Die Frau ohne Schatten". Das Manuskript trägt die Widmung: "Der geliebten Maria, diese letzte Rose ... der schönsten Frau der Welt". Hatte Jeritza es vielleicht deswegen im Safe verwahrt? Erst nach ihrem Tod 1982 wurde das Autograph versteigert. 2014 schuf Wolfgang Rihm (*1952) eine "kleine und bescheidene" Orchestrierung: "Am Ende", so Rihm, "habe ich eine Art Ausweitung der Harmonik komponiert, wo für ein paar Sekunden mein Blick auf den Abschied nehmenden Großmeister hörbar – oder besser: fühlbar wird. Es ist ein liebender Blick. Aber es ist eben: Abschied."

"Virtuos" und "raffiniert"

Abschied spricht auch aus Strauss’ "Vier letzten Liedern" auf Gedichte von Eichendorff und Hermann Hesse. Erst acht Monate nach seinem Tod wurden sie in London von Kirsten Flagstad und Wilhelm Furtwängler uraufgeführt.

Dem Anblick seines zerbombten Heimatlands war Strauss ausgewichen, "denn der Anblick ist zu grauenhaft". In der Schweiz lebte Strauss nur geduldet, das Entnazifizierungsverfahren war noch nicht abgeschlossen. Trotzdem bewies er der Musikwelt, dass mit ihm noch zu rechnen sei. Doch viele reagierten skeptisch wie Hermann Hesse: "Wir haben kein Recht, ihm große Vorwürfe zu machen. Aber ich glaube, wir haben doch das Recht, uns von ihm zu distanzieren" – eine Anspielung auf Strauss’ umstrittene Rolle im Dritten Reich. Die Vertonungen seiner Gedichte nannte Hesse "virtuos, raffiniert", aber "ohne Zentrum, nur Selbstzweck".

Eine späte Antwort auf eine alte Frage

Ein ungerechtes Urteil, denn die "Vier letzten Lieder" gehören zu Strauss’ tiefsten Kompositionen. Der Tod wird hier als Erlösung von großer Müdigkeit dankbar empfangen. Strauss breitet noch einmal verschwenderisch seine Instrumentationskunst aus: das Flirren und Schweben der Celesta und Streicher, die filigranen Akkorde der Harfe und Flöten verbreiten eine "himmlische" Atmosphäre, wie wir sie auch aus seinen Opern kennen. Mit glitzernden Tropfen sinkt der Regen in den Streichern herab, mit schwerelosen Flötentrillern steigen Lerchen in die Luft, und die Seele schwebt "in freien Flügen" von einem grandiosen Violinsolo begleitet empor. In unendlichen Melodielinien dehnt die Singstimme den Text oft bis ins rein Ornamentale.

Jedes der "Vier letzten Lieder" endet in Dur mit einem zaghaften Hoffnungsschimmer. Nach den letzten Worten ("Ist dies etwa der Tod?") taucht ein Zitat aus einem fast sechzig Jahre zuvor von Strauss komponierten Werk auf: das Verklärungsmotiv aus der Tondichtung "Tod und Verklärung", nicht mehr majestätisch auftrumpfend, sondern in mattem Schein. So hatte Strauss auf die Frage nach den Letzten Dingen, die der 25-Jährige sich stellte, im Jahr vor seinem Tod eine Antwort gegeben.