Jean Sibelius schätzte an Beethovens Sinfonik und Streichquartetten vor allem "die Ethik der Musik, nicht die Technik, die oft antiquiert und nicht brillant genug wirkt". So erfährt man es aus seinen Tagebüchern. Dort spiegelt sich auch, dass der Finne sich um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert noch mit der Kultur eines anderen Staates auseinanderzusetzen hatte: Sein Heimatland war zwar als Großfürstentum weitgehend selbstständig, aber dennoch Teil des Russischen Reiches. Radikale finnische Gruppierungen reagierten darauf teilweise mit gewalttätigen Maßnahmen. In dieser Atmosphäre wurde Sibelius’ 2. Sinfonie uraufgeführt – am 8. März 1902 mit dem Philharmonischen Orchester Helsinki unter der Leitung des Komponisten.
Bedürfnis nach "völliger Abgeschiedenheit"
"Wie ein niederschmetternder Protest gegen all das Unrecht" – so erschien bereits nach den ersten triumphalen Aufführungen dem Kollegen Robert Kajanus das Andante. Nach der Unabhängigkeit Finnlands 1917 galten die 2. Sinfonie und weitere Werke von Sibelius vielen als ein Ausdruck von Naturverbundenheit. Der Komponist selbst zeigte sich bei Deutungen und Interpretationen seiner Werke aber eher zurückhaltend. Seine 2. Sinfonie nahm ihren Anfang in poetischen Ideen. Bereits im Sommer 1899 hatte Sibelius bei der Taufe eines befreundeten Malers ein Thema improvisiert, das später in den Finalsatz Eingang finden sollte. Andere Themen entwickelte er im Arbeitszimmer des Verlegers Karl Fredrik Wasenius. Als Sibelius und seine Familie sich dank einer Finanzspritze seines Gönners Axel Carpelan von Februar bis April 1901 in Florenz und Rapallo aufhielten, entstanden weitere Skizzen. Darin notierte der Komponist die Idee, den aus Mozarts Oper "Don Giovanni" bekannten Showdown musikalisch darzustellen, nämlich die Verfolgung des Libertins Don Juan durch den "steinernen Gast". Erhalten blieb davon der Beginn des langsamen Satzes: Dort werden die nahenden Schritte im Pizzicato der Bässe und Celli nachgeahmt. In Mozarts Oper gilt der steinerne Gast als Todessymbol. Dies beschäftigte Sibelius, weil er im Vorjahr seine zweijährige Tochter Kirsti verloren hatte. Als in Italien die sechsjährige Ruth ebenfalls an Typhus erkrankte, flüchtete sich Sibelius nach Rom, bis sich die Lage entspannt hatte. "Anscheinend brauche ich diese Anregung und wohl auch völlige Abgeschiedenheit, wenn ich arbeite", schrieb er an seine Frau Aino.
Die Ausgangsideen wuchsen zu dem Plan, vier Tondichtungen zu Dantes "Göttlicher Komödie" zu schreiben – bis Sibelius realisierte, dass seine Skizzen das Potenzial für eine neue Sinfonie in sich bargen. Ihm war, "als ob Gott einige Steinchen zu einem Mosaik herabgeworfen habe und nun bat, sie wieder richtig zusammenzufügen". Bis November 1901 stellte er die erste Fassung seiner Zweiten fertig, die er dann noch sorgfältig überarbeitete. Die Uraufführung vier Monate später – so der finnische Komponist Oskar Merikanto – "übertraf auch die höchsten Erwartungen", denn die Finnen erkannten sich in dem Werk wieder und identifizierten sich damit.
Letzten Endes lassen sich die unterschiedlichsten Ideen auf das Stück projizieren. Technisch gesehen bildet ein dreitöniges aufsteigendes Motiv ein Grundgerüst, das vom ersten bis zum letzten Satz variiert wird. Sibelius gelingt es, einen Zusammenhang zwischen den Sätzen herzustellen, indem er einen kleinen Klangbaustein unablässig verändert. Unabhängig davon, ob man der D-Dur-Sinfonie nationale Gefühle oder ein Naturempfinden zuschreibt – sie überzeugt vor allem als reines Musikstück.