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Der Komponist Dmitri Schostakowitsch

Werkeinführung: Dmitrij Schostakowitsch - Sinfonie Nr. 10 e-Moll op. 93

Von Torsten Möller

Oft ist vom Verstehen der Musik die Rede – doch was heißt schon "Verstehen" in dieser begriffslosen Kunst ohne strenge Logik und Argumente? Musik ist kein Sudoku, das einfach gelöst wird. Im Gegenteil: Komponisten, die sich nur in glatt-rätsellosen Konventionen bewegen, sind in der Regel nicht die interessantesten.

Dmitrij Schostakowitsch bleibt ein offenes Buch. Mal wurde dieses Buch ganz staatstreu im Sinne des sozialistischen Realismus gelesen, mal erblickten die "Schostakowitsch-Leser*innen" eine energische Kritik am Stalinismus. Angesichts aller verbalen Kämpfe und politischen Instrumentalisierungen ist es sinnvoll, vorerst aufs Wesentliche zu hören, auf die Musik. Schostakowitschs 10. Sinfonie folgt keiner Sonatenform. Sie ist durch und durch subjektiv gefärbt. Oft ist das Klangbild düster. Es gehört zu Schostakowitschs Markenzeichen, dass er als Fundament seiner Klangtürme oft Celli und Kontrabässe nutzt. Zum dunklen Klangbild kommt ein skeptisch-zielloser Ton; Kantilenen solistisch eingesetzter Instrumente kreisen scheinbar oft in Endlosschleifen. An manchen Stellen bricht Schostakowitsch den resignativen Ton dieser 10. Sinfonie auf. Urplötzlich brauen sich gewaltige rhythmische Energien auf, auch die – für den Russen typische – Jahrmarkts- oder Zirkusmusik erklingt an der ein und anderen Stelle. So richtiger Optimismus allerdings will auch hier nicht aufkommen. Eher klingt die Ironie nach Sarkasmus.

Ein falsch gelöstes Rätsel

Fest steht: Die 10. Sinfonie ist alles andere als eine fröhliche Feier in C-Dur. Natalja Lukjanowa sprach in ihrer Schostakowitsch-Biografie davon, dass das Werk etwas von einer "Tragödie" und einer "Beichte" an sich habe. Letztlich ist sie Zeugnis eines arg gebeutelten Komponisten, der ein ums andere Mal in großer Gefahr schwebte und der über die in der Stalin-Ära Ermordeten trauerte, zu denen auch Freunde zählten. Ihre Premiere hatte die Sinfonie im Dezember 1953 in Leningrad. Stalin war wenige Monate zuvor gestorben, doch die ästhetischen Doktrinen seines Kulturkommissars Andrej Schdanow blieben gültig. Wie der mittlerweile international renommierte Schostakowitsch mit Schdanows Forderungen in Einklang gebracht wurde, ist ein besonderes Kapitel, so etwas wie ein falsch gelöstes Rätsel. Die Sinfonie sei eine "optimistische Tragödie", berichtete 1954 die staatstreue Zeitschrift "Die sowjetische Musik", "durchdrungen vom festen Glauben an den Sieg der lichten, lebensbejahenden Kräfte". Im selben Jahr erhielt Dmitrij Schostakowitsch den Titel eines "Volkskünstlers der UdSSR".